Interview

Trans-Aktivistin: "Bremen war bislang ein sicherer Hafen"

Christopher Street Day in Bremen
Gut eine Woche vor dem Angriff demonstrierten beim Christopher Street Day in Bremen mehrere Tausend Menschen für mehr Vielfalt. Bild: dpa | Sina Schuldt

Maike-Sophie Mittelstädt hat sich als Transfrau in Bremen lange sicher gefühlt. Mit dem Angriff auf eine Trans-Person in einer Straßenbahn hat sich das geändert, sagt sie. Viele in der queeren Community seien zurzeit beunruhigt.

Der Angriff auf eine Transfrau in einer Straßenbahn hat in Bremen für Fassungslosigkeit gesorgt. Auch in der queeren Community in Bremen ist das Entsetzen groß. Die Reaktionen schwanken zwischen Ohnmacht und Wut, sagte Maike-Sophie Mittelstädt vom Bremer Verein Trans Recht. Im Interview mit buten un binnen erklärt sie, wie sicher sie sich auf Bremens Straßen fühlt und warum die Tat viele wütend macht.

Frau Mittelstädt, wie ging es Ihnen, als Sie von dem brutalen Angriff in einer Bremer Straßenbahn erfahren haben?

Ich war ehrlich gesagt ziemlich fertig. Ich habe mir erstmal am Küchenfenster eine Zigarette angesteckt, einen Kaffee getrunken und tief durchgeatmet. Dann kamen auch schon die ersten Organisationsanfragen von dem losem Bündnis, das sich zusammengefunden und die Mahnwache organisiert hat. Danach bin ich dann mit Freunden in eine Kneipe in der Neustadt gegangen. Wir haben da auch über ganz andere Dinge geredet, aber das Gefühl der Ohnmacht ist geblieben.

Man fühlt sich seit dem Angriff nicht mehr ganz sicher. Bremen war bislang ein sicherer Hafen, unser Wohnzimmer – und das ist es jetzt nicht mehr. Wir hatten in den letzten Wochen immer wieder Vorfälle, seitdem ist mein Gefühl eindeutig gekippt.

Sie sind selbst Trans-Frau und haben gute Kontakte zur queeren Community in Bremen. Wie haben Sie die Reaktionen dort wahrgenommen?

Bei vielen kam ein Gefühl der Ohnmacht auf, bei manchen ist auch Wut da. Viele haben einfach das Gefühl, dass wir vom Staat schon lange gegängelt werden. Der Staat schafft es einfach nicht, uns zu schützen. Und wir sind auch enttäuscht über die Medien und die Debatte, die im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht geführt wird. Wir sehen da einen regelrechten "Whataboutism" (Anmd. d. Red.: Diskussionsstil, bei dem auf Argumente mit Gegenfragen oder Verweisen auf andere Probleme reagiert wird). Es werden in Talkshows zum Beispiel noch immer Personen eingeladen, die sich offen transkritisch äußern. Anders als bei Corona geht es bei dieser Debatte aber nicht um Wissenschaft, es geht um Menschenrechte und die werden dort aktiv infrage gestellt.

Wie gefährlich ist es für Trans-Menschen, sich auf öffentlichen Straßen und Plätzen in Bremen zu bewegen?

Wir sind schockiert, dass der Vorfall in der Neustadt passiert ist. Das ist einer der trans-nettesten Stadtteile in Bremen. Gestern Abend (Anmd. d. Red.: Montagabend nach der Mahnwache) haben wir dazu aufgerufen, gemeinsam nach Hause zu gehen und nicht alleine. Das schafft Sicherheit. Heute wollte ich aber bei mir zu Hause in Bremen-Walle Gassi gehen und hatte dabei schon den Gedanken: Was ist, wenn mir jetzt etwas passiert?

Aber generell machen da weniger Orte einen Unterschied, sondern das ist eher abhängig von der Tageszeit. Sobald es dunkel wird, nehme ich Gruppen von Männern als nicht ungefährlich wahr – jetzt noch mehr. Sonst sind es vor allem Strecken, so wie von der Straßenbahn nach Hause, die unsicher sind, wenn man als Trans-Person wahrgenommen wird.

Wir haben da eine hohe Dunkelziffer. Viele queere und Trans-Personen gehen nach Vorfällen nicht direkt zur Polizei.

Maike-Sophie Mittelstädt, Vorstandsmitglied beim Verein Trans Recht

Der Angriff am vergangenen Samstag ist in einer Straßenbahn passiert. Warum gerade da?

Straßenbahnen sind geschlossene Räume, da kann man nur schwer flüchten, wenn man beleidigt oder angegriffen wird. Am Samstag war die Stimmung bei uns auch schon so, dass wir gesagt haben, lass mal lieber mit dem Fahrrad zum "Trans*Inter*Dyke-March" (Anm. d. Red.: Kundgebung von Trans-Aktivistinnen und -Aktivisten) fahren. Als sichtbar queer oder trans fahren viele lieber Fahrrad als mit der Straßenbahn. Auf dem Fahrrad ist man, wenn man beleidigt wird, schnell weg und bestenfalls schon zehn bis 20 Meter entfernt.

Die Bremer Polizei zählt 2021 18 Straftaten, die sich gegen die sexuelle Orientierung und sexuelle Identität richteten. Passt die Zahl zu dem, was Sie in der queeren Community von Angriffen erfahren?

Ich glaube, wir haben da eine hohe Dunkelziffer. Viele queere und Trans-Personen gehen nach Vorfällen nicht direkt zur Polizei. Der Anteil der Personen, die zur Polizei gehen, ist sogar eher gering. Wir (Anmd. d. Red.: Trans Recht) bieten Menschen bei uns in der Beratungsstelle an, gemeinsam zur Polizei zu gehen, wir haben da auch einen guten Kontakt, aber es kommt vor, dass einige Menschen einfach nicht gehen wollen. Und ähnlich wie bei Frauenfeindlichkeit ist es so, dass die kleinen Angriffe im Alltag nicht zur Anzeige gebracht werden. Beleidigungen wie "Schwuchtel" und "Transe" werden oft ignoriert. Da geht man weiter und eben nicht zur Polizei.

Vor drei Jahren war die Zahl der Angriffe in Bremen mit elf zur Anzeige gebrachten Straftaten noch deutlich niedriger. Haben Sie das Gefühl, dass die Stimmung gegenüber Trans-Menschen hier zuletzt aggressiver geworden ist?

Ja, das Gefühl habe ich durchaus. Es gab bei Rat und Tat (Anmd. d. Red.: Zentrum für queeres Leben im Bremer Viertel) immer wieder Buttersäure-Angriffe und auch die Geschichte mit Pastor Latzel hat viele Trans-Menschen besorgt. Auch ist Trans medial immer wieder ein Thema, bei dem Menschenrechte infrage gestellt werden. Auch das hat Einfluss auf Angriffe: Wenn man früher vielleicht noch ausgelacht und beleidigt wurde, wird man heute eher angegriffen.

Wenn man früher vielleicht noch ausgelacht und beleidigt wurde, wird man heute eher angegriffen.

Maike-Sophie Mittelstädt, Vorstandsmitglied beim Verein Trans Recht

Was muss aus Ihrer Sicht jetzt passieren, damit sich queere und Trans-Menschen in Bremen wieder sicher fühlen können?

Ich glaube, das ist ein langfristiger Prozess. Wir müssen am System und dem Patriarchat arbeiten, Kinder und Jugendliche früher aufklären und die Polizei sensibilisieren. Wir brauchen ein gemeinsames Arbeiten in einer offenen und inklusiven Gesellschaft, in der alle Menschen – egal, ob Trans oder Migrant – nicht über ihre Menschenrechte verhandeln müssen, weil das einen Einfluss auf die ganze Gesellschaft hat.

Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 5. September 2022, 19:30 Uhr