Interview
Sind Eltern gute Schiedsrichter beim Streit im Kinderzimmer?
Innige Liebe, lautstarker Streit – beides liegt in Familien oft nah beieinander. Geschwisterbeziehungen sind vielfältig. Ein Bremer Therapeut erklärt, wie solche Konflikte prägen.
Der Bremer Familientherapeut Heiko Hinrichs arbeitet seit mehr als 30 Jahren mit Familien. Er erklärt, welches Gefühl den meisten Geschwisterstreits zugrunde liegt – und warum Eltern oft schlechte Schiedsrichter sind.
Herr Hinrichs, gibt es typische Konflikte zwischen Geschwistern?
Ja. Den meisten Konflikten liegt ein zentrales Gefühl zugrunde: Ein Kind fühlt sich durch die Eltern weniger wahrgenommen, im Vergleich zum anderen. Viele Emotionen, wie Eifersucht, münden dann daraus. Jedes Kind ist anders und hat individuelle Bedürfnisse, das gilt es von den Eltern zu erkennen. Bekommt ein Geschwisterkind das Gefühl "Ich bin die zweite Wahl", kann die Geschwisterbeziehung konfliktreich werden.
Bei typischen Konflikten kann es auch um falsche Erwartungen oder das Übertragen von Aufgaben gehen. Im Kindesalter kann es sein, dass ein Geschwisterkind viel Verantwortung trägt und es Aufgaben der Eltern übernimmt. Im Erwachsenenalter kann es dazu kommen, dass die Eltern Hilfe im Alter benötigen. Ein Geschwisterkind wünscht sich mehr Hilfe durch das andere Geschwisterkind und es kann zum Konflikt kommen.
Welche Rolle spielt Eifersucht und Neid?
Eifersucht und Neid spielen oft eine Rolle. Jedes Kind will gesehen, anerkannt, geliebt und willkommen geheißen werden. Und wenn von dieser elterlichen "Nahrung" zu wenig da ist oder war, gibt es naturgemäß Rangeleien um das Wenige und die Gier darauf steigt. Wenn der Altersunterschied zwischen den Geschwistern größer ist, kann es seltener zu Eifersucht kommen.
Es stimmt nicht wirklich, wenn man davon ausgeht, man behandelt seine Kinder gleich.
Heiko Hinrichs, Familientherapeut in Bremen
Wie können Eltern als gerechte Schiedsrichter im Streit helfen?
Wenn die Eltern besonders gerechte Schiedsrichter sein wollen, geht es schief. Alle Kinder sind unterschiedlich. Doch eine bewusste oder unbewusste Bevorzugung, zum Beispiel, weil Elternteile meinen ein Kind ist ihnen ähnlich, muss reflektiert und von den Eltern angesprochen werden.
Unterschiede in der Behandlung sind für die Kinder schmerzhaft wahrzunehmen. Die Eltern müssen offen kommunizieren: "Ich habe euch nicht gleichbehandelt, das erkenne ich an." Exakte Gleichbehandlung ist aber nicht möglich.
Inwieweit kann Bevorzugung aufgrund von Ähnlichkeiten passieren?
Ein Elternteil sagt zum Beispiel: "Der Tim ist mir ähnlich, ich fühl mich ihm so nah", es wird mit Stolz gesagt. Der einen Beziehung wird damit mehr Bedeutung beigemessen. Das spüren alle Beteiligten. Das andere Kind manifestiert "Ich bin die zweite Wahl".
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Können Geschwister gesund streiten?
Ja. Generell sollte man keine Angst vorm Streiten haben. Anstatt Streit benutze ich gerne das Wort "Auseinandersetzung". Streit bedeutet "Ich setze mich mit dir auseinander". Konstruktives Grenzen setzen und Gefühle kommunizieren ist im Streit bedeutend. "Ich-Botschaften" sind wichtig. Provokationen im Streitgespräch stellen ein Problem dar. Konstruktives streiten lernen Kinder zum großen Teil auch von den Eltern. Hier gilt: Wenn ich Schmerzhaftes nicht reflektiere, folge ich dem, was ich kenne.
Erst fliegen die Fetzen, dann ist es schnell wieder vergessen. Können Geschwister Konflikte im Kindesalter schneller lösen als im Erwachsenenalter?
Nicht unbedingt.
Ich habe erwachsene Geschwister begleitet, deren Konflikt Jahrzehnte alt ist.
Familientherapeut Heiko Hinrichs
Jedoch: Streit ist im Kindesalter meist dynamischer sowie ihre Emotionen auch. Die Rollen der Kinder, die Persönlichkeiten sind noch nicht so festgelegt.
Ändern sich diese Konfliktthemen, wenn man älter wird?
Die Konfliktthemen an sich bleiben, die Betrachtung kann sich jedoch ändern. Das ist heilsam. Aber auch da gibt es sowohl veränderungsbereite, flexible aber auch starre, feststeckende Menschen. Das Schmerzhafte bleibt meist. Oftmals kommt das dann hoch, wenn die Eltern sterben und es ums Erbe geht. Dann kann man die Konfrontation mit schmerzenden Themen oft nicht mehr vermeiden.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 11.September, 19:30 Uhr