So kämpft ein ukrainisches Team bei der Tanz-WM um etwas Normalität

"Zwischen Tanz und Tränen": So trainieren Ukrainer für die WM

Bild: dpa | Nordphoto / Witke

Am Samstag steigt die WM der Lateinformationen und Adagio möchte unbedingt wieder dabei sein. Doch zwischen Trümmern und Tränen muss sich das Team vorbereiten.

Am kommenden Samstag findet in Braunschweig die WM der Lateinformationen statt. Auch die ukrainische Mannschaft Adagio will wieder dabei sein. Doch die Umstände haben sich für sie seit ihrer letzten WM-Teilnahme im vergangenen Dezember in Bremen dramatisch verändert.

Vorbereitung zwischen Trümmern, Tanzen zwischen Leidenschaft und Leid. Konzentrieren auf Konkurrenzkampf mitten im Krieg. Für das ukrainische Team gibt es seit dem russischen Angriffskrieg keinen normalen Alltag mehr. Aber bei der WM kämpfen sie für sich für ein Stück Normalität.

Das ist sehr, sehr herausfordernd. Nichts ist fertig, weder die Musik noch die Kostüme. Wir haben im Moment keinen richtigen Trainingsraum, kein Geld, keine Zeit fürs Training. Jeder ist irgendwie vom Krieg betroffen.

Trainerin Kateryna Saliamon-Mikhieieva im Sportblitz

Trainingsräume wurden zerstört

Die ukrainische Lateinformation Adagio in einem kleinen, engen Raum beim Training.
Wenig Platz, aber große Motivation: Die Lateinformation Adagio muss sich in Irpin mit einem Behelfs-Trainingsraum arangieren. Bild: Radio Bremen

Geld verdienen steht für jeden einzelnen in der Formation derzeit an erster Stelle. Jeder versucht, irgendwie über die Runden zu kommen. Aber, betont Trainerin Kateryna Saliamon-Mikhieieva im Videogespräch mit dem Sportblitz, "es ist toll, dass wir überhaupt zusammenkommen können. Das gibt uns Hoffnung."

Hoffnung können sie auch in Irpin gebrauchen, die Bilder der Raketenangriffe gingen um die Welt. Unweit von Kiew entfernt ist die Heimat des Teams Adagio. Doch ihre Trainingsräume wurden von Bomben zerstört, auch die Tänzerinnen und Tänzer flohen aus Irpin.

Wir sind froh, dass alle Tänzerinnen und Tänzer am Leben sind. Am Anfang wussten wir das nicht, haben sie gesucht. Niemand wusste, wie lange die Stadt besetzt sein würde. Als die Russen kamen, haben wir alles verloren. Unsere Häuser, Wohnungen und unsere Trainingsräume.

Trainerin Kateryna Saliamon-Mikhieieva im Sportblitz

"Tanzen, als wäre jedes Training unser letztes"

Kateryna und ihr Mann Vitaly coachen das Team seit 2018 hauptberuflich. Seit vergangenen Juni sind sie und ihre Tänzerinnen und Tänzer zurück in Irpin. In ihrem neuen Trainingsraum verschanzten sich im Frühjahr noch Menschen vor Bomben. Jetzt tanzen sie dort ihre neue Choreografie.

Sie haben nur diesen einen Raum und der ist eigentlich zu klein und zu flach für die Formation. Doch inzwischen geht es für sie längst um viel mehr als das Tanzen.

Der Krieg hat unsere Werte verändert. Vorher war es toll zu tanzen. Jetzt ist es noch viel bedeutender. Viele Städte sind besetzt. Die Sportler dort können nicht trainieren. Wir tanzen deshalb so, als wäre jedes Training unser letztes.

Tänzer Maksym Pylypenko im Sportblitz

Choreografie "Unbreakable": "Lassen uns nicht kaputt machen"

Die ukrainische Lateinformation Adagio bei einer Pose aus der Choreografie "Rock Style" bei der WM in Bremen.
Mit ihrer vorherigen Choreo "Rock Style" verpasste Adagio bei der WM 2021 in Bremen das Finale. Bild: Imago | Nordphoto

Nicht einmal ein Jahr ist es her, als Adagio in Bremen mit der Choreografie "Rock Style" in der Bremer Stadthalle auf Platz neun tanzten. Das war eine beachtliche Leistung für eine Formation, die erst seit vier Jahren auf dem internationalen Parkett dabei ist.

Dass sie ihre neue Choregrafie nun "Unbreakable" , also unkaputtbar, genannt haben, soll ihre Botschaft demonstrieren: "Wir lassen uns nicht kaputt machen von den schrecklichen Dingen, die wir erfahren haben", sagt Trainerin Saliamon-Mikhieieva: "Im Gegenteil: Alle haben die Stärke gefunden, um nach Irpin zurückzukommen."

Noch fehlen die Reisegenehmigungen

So liegt der Fokus zwischen Trümmern und Leid für Adagio in diesen Tagen auf dem einen positiven Ziel: der WM.

Wir arbeiten härter als je zuvor. Andere würden jetzt vielleicht nicht zur WM fahren. Aber wir nehmen die Verantwortung an, unser Land zu repräsentieren.

Trainerin Kateryna Saliamon-Mikhieieva im Sportblitz

Doch ob sie bei der WM wirklich die Gelegenheit dazu bekommen, ist noch offen. Denn der etwa 20-köpfige Tross der Lateinformation wartet immer noch auf die Reisegenehmigung des ukrainischen Sportministeriums. Doch die Hoffnung aufzugeben, kommt für Adagio nicht in Frage.

Autorinnen und Autoren

Dieses Thema im Programm: buten un binnen mit Sportblitz, 9. Oktober 2022, 19:30 Uhr