Bremer Drag-Queen: "Man liebt mich so, wie ich bin. Oder gar nicht."

Wie aus dem Bremer Tobias die Drag-Queen "Miss Joyce Delone" wird

Bild: Nils Wendelken

Tobias* lebt als Miss Joyce Delone seinen Traum von Drag. Nach anfänglicher Sorge vor den Reaktionen seines Umfelds hat er in der Bremer Drag-Szene seinen Platz gefunden.

Ein Montagvormittag im Viertel. Über den Schränken in Tobias' Küche hängt ein wilder Glitzerfummel, auf dem Herd liegen ein schwarzer BH und ein Paar hochhackige Schuhe. Neben der Kaffeemaschine thront eine Perücke auf einer Plastik-Büste. Tobias* gießt ein paar Schlucke Sekt in dunkle Sektgläser und reicht sie seinen Freunden. "Mutti hat Laune", ruft er in die Runde und die Gruppe stößt an.

Miss Joyce Delone ist das zweite Ich von Tobias

Tobias ist 37 Jahre alt und arbeitet im Außendienst eines großen Kosmetikherstellers. Kurze braune Haare, Dreitagebart und ein offenes, herzliches Lächeln. So sieht er am Morgen aus. Er beschreibt sich als etwas zurückhaltend. "Sobald neue Leute da sind, bin ich ruhiger und beobachte erstmal", sagt der Bremer. "Bei vertrauten Menschen fühle ich mich sicherer." Auf das Alter Ego des 37-Jährigen trifft das nicht zu. Miss Joyce Delone liebt die Bühne, die Aufmerksamkeit, den Trubel. Seit vier Jahren macht Tobias Drag, schminkt und styled sich aufwendig und spielt mit Rollenklischees.

Ich hatte Verlustängste, dass meine Familie, Freunde und Bekannte mich nicht akzeptieren, wenn ich im Fummel durch die Straßen laufe.

Tobias* aka Miss Joyce Delone

Das zweite Ich von Tobias, das irgendwie eine Kunstfigur ist und irgendwie auch nicht, entsteht in vielen kleinen Schritten vorm Spiegel. Erst rasiert sich Tobias, dann klebt er sich die Augenbrauen ab. Eine Schicht Lippenstift unter der Schminke kaschiert den Bartschatten, bei den Augenbrauen ist Konzentration gefragt. "Wenn die nicht sitzen, bin ich unzufrieden".

Eine große Portion Mut

Die Dragqueens Joyce Delone und  Leyla Disturbed im Interview vor einem Hauseingang.
Anfangs hatte Tobias* Angst, dass seine Freunde und Familie Miss Joyce Delone nicht akzeptieren (hier im Interview mit Leyla Disturbed). Bild: Nils Wendelken

Damit Joyce geboren werden konnte, war viel Mut nötig. "Ich hatte Verlustängste", erzählt Tobias, "dass meine Familie, Freunde und Bekannte mich nicht akzeptieren, wenn ich im Fummel durch die Straßen laufe." Lange wächst der Wunsch in ihm, Dragqueen zu werden. Aber Tobias traut sich nicht. Bis er zur Hochzeit seines Bruders eine Travestiekünstlerin einlädt. "Ich habe ihn auf der Bühne gesehen, mit wunderschönen Kostümen, mit Federn, ganz viel Tüll und großartigen Parodien", erzählt er. "Das wollte ich auch!" Mit dem Vorbild kommt das Umdenken. "Ich hab mir gesagt: Man liebt mich so, wie ich bin. Oder gar nicht."

2018 fängt Tobias an sich zu schminken, 2020 beginnt er mit Drag. Und seine Befürchtungen bewahrheiten sich nicht: Freunde und Familie reagieren mit Toleranz. Niemand wendet sich ab. Für Tobias wird Drag der Schlüssel zu mehr Selbstbewusstsein. Bei seinen Auftritten erfährt er viel Unterstützung. "Be happy to be yourself", also "Sei glücklich, du selbst zu sein" wird das neue Motto von Miss Joyce Delone.

Freche Sprüche und Gemeinschaft gehören zum Drag dazu

Zurück in Tobias' Wohnung. Das Make-Up von Miss Joyce Delone ist fertig, die (Plastik-)Brüste sitzen. Fehlt noch der passende BH. "Oh mein Gott, das ist aber richtig sexy!”, ruft Joyce, als sie sich ein schwarzes Exemplar mit Spitze überstreift. Leyla Disturbed, eine befreundete Drag-Queen, assistiert beim Schließen und zupft noch die Träger zurecht. "Ab in die Helenenstraße!", ruft sie scherzhaft. Freche Sprüche und Gemeinschaft – beides gehört beim Drag dazu.

Die Dragqueens Theresa Matel, Luna Matel, Leyla Disturbed, Babsi, Joyce Delone (l. nach r.) präsentieren sich in ihren Kostümen.
Als Miss Joyce Delone mit dem Drag anfing, gab es in Bremen keine Dragszene. Nun gehören noch drei weitere Queens zum engsten Kreis: Luna und Theresa Matel und Leyla Disturbed. Bild: Nils Wendelken

Wobei sich die Bremer Dragszene in den vergangenen Jahren gewandelt habe, erzählt Joyce. "Als ich angefangen habe, hatten wir so gut wie keine Szene", sagt Joyce. "Heute sitze ich hier mit drei weiteren Queens und wir sind wie eine Familie." Luna und Theresa Matel und Leyla Disturbed gehören zum engsten Kreis. Tägliche Telefonate, getauschte Outfits und immer ein offenes Ohr. Die Queens geben einander Halt und Rat, leihen sich so manches Kleid und sind in emotionalen Momenten füreinander da.

Aus einer ganzen Reihe von Perücken hat Joyce heute eine wilde blonde Lockenmähne gewählt. Rund um ihre Augen schimmern Rosa und Pink, ein enges schwarzes Kleid in Lederoptik komplettiert den Look. Die Zurückhaltung und leichte Nervosität von Tobias ist verschwunden, Joyce genießt spürbar die Aufmerksamkeit. Was für sie das Tolle an Drag ist? Die Antwort kommt prompt. "Die Verwandlung. In einen Charakter reinzuschlüpfen, weg aus der Realität, jemand komplett anders sein. Extrovertierter, selbstbewusster. Leute zu faszinieren und zum Lachen zu bringen."

Queerfeindliche Angriffe in Bremen nehmen zu

Es gibt allerdings auch ein Thema, das der Bremer Dragqueen Sorgen bereitet. In den letzten Jahren kam es immer wieder zu queerfeindlichen Angriffen in Bremen, auch Joyce und ihre Freundinnen berichten von gehäuften Diskriminierungen. "Früher bin ich gerne alleine in Drag durchs Viertel gelaufen – für Fotoshootings oder den Rückweg von Partys," sagt Joyce Delone, "Das würde ich heute nicht mehr machen."

Sobald ich in Drag bin, muss ich Freunde um mich haben, damit ich mich sicher fühle.

Drag-Queen Luna Matel
Die Dragqueens Luna und Theresa Matel präsentieren sich in ihren Kostümen.
Aufgrund von queerfeindlichen Angriffen fühlen sich die Queens Luna und Theresa Matel in Drag oft unsicher. Bild: Nils Wendelken

Beleidigungen, sexuelle Belästigung, Hinterherspucken oder gar die Verweigerung einer Taxifahrt – das alles sei ihnen schon passiert, sagen die Queens. "Als Mann ist Sicherheit im Viertel für mich gar kein Problem – weder nachts noch tagsüber", sagt Drag-Queen Luna Matel. "Sobald ich in Drag bin, muss ich Freunde um mich haben, damit ich mich sicher fühle." Ausbremsen lassen wollen sich die Queens durch Anfeindungen aber auf keinen Fall. "Wir sind extrem, wir sind mehr als manch anderer. Und das akzeptiert leider heutzutage noch nicht jeder", sagt Joyce. "Aber ich lass mich da nicht einschüchtern."

Drag nimmt einen großen Teil ihres Lebens ein

Erst in diesem Jahr hat sich die Bremer Queen einen Traum erfüllt. Gemeinsam mit anderen Queens ist sie auf der Breminale aufgetreten. Mittlerweile nimmt Drag einen großen Teil ihres Lebens ein, sagt sie. Joyce bietet Schminkkurse an, trifft sich häufig mit den anderen Queens und hat ambitionierte Pläne für die nächsten Monate. "Irgendwann möchte ich mit einem eigenen Programm auf Bremer Bühnen auftreten", sagt Joyce. Eine eigene Show mit Comedy und Schlager, darauf hätte sie Lust. Aktuell ist sie auf der Suche nach einem passenden Veranstaltungsort.

* Seinen vollen Namen möchte Tobias nicht veröffentlichen, er ist der Redaktion aber bekannt.

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Autorin

  • Autorin
    Sophia Allenstein

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 20. Juli 2024, 19:30 Uhr