Interview

Bremerhavener Forscherin Boetius: "Spontaneität gehört auf See dazu"

Antje Boetius, Meeresbiologin und Leiterin des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven, steht in Tuktoyaktuk in der Arktis.

Bremerhavener Forscherin Boetius: "Spontaneität gehört auf See dazu"

Bild: dpa | Britta Pedersen

Zwei Monate lang ist die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts mit einem Wissenschaftsteam in der Arktis unterwegs. Doch was erwartet die Forscher bei der Expedition?

Die Arktis ruft: Ein 50-köpfiges Wissenschaftlerteam ist zwei Monate lang mit dem Forschungsschiff "Polarstern" unterwegs, um in Eis und Kälte die Folgen des Klimawandels zu untersuchen. Mit an Bord ist auch Antje Boetius. Mehr noch: Die Direktorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts ist Leiterin der Expedition.

Frau Boetius, was darf bei einer so langen Reise im Gepäck nicht fehlen?

Das eine ist der Seesack mit den warmen Klamotten. Wenn wir im Eis sind, dann wird es richtig kalt und wir ziehen richtige Polarkleidung an. Wir brauchen aber eben auch Privatkleidung, mit der man am Abend relaxed zusammensitzen und sich über die Ergebnisse unterhalten kann.

Die Expedition, zu der Sie nun aufgebrochen sind, wurde vor elf Jahren schon einmal durchgeführt. Inwieweit hat sich die Gegend seither verändert?

Der Rückgang des arktischen Meereises umfasst derzeit etwa 13 Prozent pro Jahrzehnt. Wenn man sich das auf einer Karte anschaut, stellt man schnell fest, dass riesige Landschaften wegschmelzen – und damit auch das Leben auf, in und unter dem Eis.

Der Atlantik ist weit über ein halbes Grad zu warm. Überall hat man das Gefühl, dass es brennt, dass es falsch ist. Und wir möchten eben wissen: Was hat die Arktis, was hat das Meereis damit zu tun? Vor elf Jahren haben wir uns daher vorgenommen, wieder zurückzukommen und wieder hinzuschauen.

Was unterscheidet die Expedition von den bisherigen Arktis-Fahrten der "Polarstern" in den vergangenen Jahren?

Anders ist vor allem, dass wir den Fokus auf die Tiefsee lenken. Wenn man sich das Meer wie ein Stockbett vorstellt, beginnen wir oben mit dem Eis. Dann gucken wir mit Robotern unter das Eis und schauen, ob sich die Algenwälder verändert haben, die dort normalerweise etwa Fischen einen Unterschlupf bieten.

Und schließlich verfolgen wir den Weg des Lebens bis hinunter in vier Kilometer Tiefe, um festzustellen, ob die Änderungen im Meereis und im Nahrungsangebot auch ihre Spuren bei den Tiefsee-Lebewesen hinterlassen.

Wie flexibel sind Sie an Bord? Können Sie improvisieren, falls Sie für genauere Beobachtungen von der geplanten Route abweichen müssen?

Ja, das können wir schon. Im Grunde ist das teilweise auch eine Prozessstudie in dem Sinne, dass wir heute noch nicht sagen können, wie wenig Meereis es denn in einem Monat ist. Darauf werden wir dann reagieren.

Zwar haben wir feste Stationen und feste Punkte, zu denen wir hinkommen, um genau die gleichen Messungen wie vor elf Jahren vorzunehmen. Wenn aber das Eis zu dick oder das Wetter zu schlecht ist, werden wir das abändern. Spontaneität gehört bei Expeditionen auf See immer dazu, denn Wind und Wetter machen einem oft einen Strich durch die Rechnung.

Wenn Sie nach Bremerhaven zurückkehren, geht die Arbeit noch weiter. Was steht dann für Sie und Ihr Team auf dem Programm?

Wir haben unter anderem Biodiversitätsforscher an Bord, die versuchen selbst viele Jahre nach einer Expedition immer noch herauszufinden, wie viel neues Leben auf der Expedition entdeckt wurde. Also: "Was ist das für eine Art? Was frisst die eigentlich und wie verteilt sie sich weltweit?" Diese Arbeit des genauen Nachzählens und Nachforschens, was für Leben in der Arktis ist, dauert sehr lange.

Vieles ist aber auch gleich fertig. Wir wissen etwa, dass wir wir eine Messung – nämlich die Atmung der Lebewesen unten am Meeresgrund – für den Vergleich mit den früheren Daten gut vorbereitet haben. Und da wollen wir dann sehr schnell sein. Es wird nun mal rund um die Uhr geforscht und als Fahrtleiterin darf ich allen im Team helfen, ihre Ziele zu erfüllen.

(Aufgezeichnet von Helge Hommers.)

Polarstern-Expedition erforscht die Folgen der Eisschmelze

Bild: Radio Bremen

Autoren

  • Jörn Albrecht
    Jörn Albrecht Moderator
  • Matthias Hoppe
    Matthias Hoppe Moderator

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Morgen, 2. August 2023, 9:36 Uhr