Interview
"Es ist traurig, dass wir nicht im Einklang mit der Natur leben"
Die Bremerin Sarah Winkelmann hat in 28 Tagen Grönland durchquert. Hier spricht sie über die Expedition, Klimaschutz und wo es als nächstes hingehen soll.
Die 28-jährige Politikwissenschaftlerin lebt und arbeitet derzeit in Norwegen. Vor wenigen Wochen hat sie Grönland durchquert. Die Bremerin sieht sich dabei als Vorreiterin bei nachhaltigen Polar-Expeditionen.
Wie sind Sie darauf gekommen, Grönland zu durchqueren – obwohl Sie erst mit Anfang 20 das erste Mal auf Skiern standen?
Ich stand sogar erst mit 25 Jahren das erste Mal auf Skiern. Und in Bremen-Nord habe ich dann Ski fahren gelernt. In einem Naturschutzgebiet, hinter dem Deich. Da hat es ein bisschen geschneit, etwa fünf Zentimeter. Und da dachte ich mir: Okay, dann kann ich das ja auch mal ausprobieren. Grönland gilt als eine der drei größten Polarexpeditionen und als ideale Vorbereitung auf den Südpol oder den Nordpol. Aber das war nicht der Grund dafür. Grönland hat mich nämlich schon immer sehr fasziniert.
Sie sagen, dass Sie zu einer neuen Generation von Arktis-Expediteuren gehören. Dabei spielt Nachhaltigkeit eine wichtige Rolle. Was haben Sie getan, um die Expedition nach Grönland so nachhaltig wie möglich zu gestalten?
Das waren drei große Maßnahmen. Zum einen war mein großes Ziel, während der Expedition auf Fleisch zu verzichten und mich vegetarisch zu ernähren. Da haben ganz viele aus dem Milieu gesagt: "Man braucht unbedingt Fleisch, das geht überhaupt nicht. Gerade auf einer Expedition mit der extremen Belastung wirst Du so viel Gewicht verlieren." Und im Nachhinein stimmt das überhaupt nicht. Ich bin so viel weiter gekommen als viele andere. Deshalb kann ich von mir sagen, dass ich mit meiner Ernährung alles richtig gemacht habe.
Die zweite Sache ist die Anreise. Da war mein Plan eigentlich ein Schiff zu nehmen und auf einen Flug zu verzichten. Und ich habe auch über 50 Mails und Briefe an verschiedene große Reedereien geschrieben, um auf einem Cargo-Schiff mitfahren zu können. Es gibt aber noch keine öffentlichen Fährverbindungen nach Grönland. Das war sehr frustrierend für mich.
Der dritte Punkt war die Vorbereitung auf die Expedition. Ich habe die komplett ohne Auto gemacht. Das heißt, ich bin immer mit dem Fahrrad in die Berge gefahren und habe dort trainiert
Grönland gehört zu den Orten auf der Welt, die am stärksten von dem Klimawandel betroffen sind. Grönland erwärmt sich doppelt so schnell wie die meisten anderen Teile auf der Welt. Hat diese Entwicklung eine Rolle bei Ihrer Expedition gespielt?
Ja, definitiv. Ich finde, das ist eine unglaublich große Traurigkeit, mit der man dann konfrontiert ist. Denn die Natur ist so unglaublich schön und das einzige, was wir tun, ist, sie zu zerstören. Wo früher Eis war, sind jetzt nur noch Eisschollen und viel Wasser. Es ist einfach traurig, dass wir nicht im Einklang mit der Natur leben können. Wir hatten zum Beispiel auch einen Tag, an dem wir Plusgrade hatten. Vielleicht ein oder zwei Grad. Das war ziemlich am Anfang der Expedition. Aber das ist in den letzten Jahren immer häufiger geworden, dass es dort Tage mit Plusgraden gab. Das ist eine Folge des Klimawandels.
Wie blicken Sie als Politikwissenschaftlerin auf die deutsche Klimapolitik? Finden Sie, dass genug getan wird?
Es wird definitiv nicht genug getan. Ich glaube, da ist sich auch eine Mehrheit einig, dass da nicht genug geschieht. Meiner Meinung nach sollte Klimapolitik inklusiv sein. Das heißt alle in der Bevölkerung mitnehmen.
Die deutsche Klimapolitik sollte nicht dazu führen, dass wir den reichsten fünf Prozent erlauben, mit einem Privatjet nach Sylt zu fliegen und dabei das 60-fache von dem CO2 zu verbrauchen, das der IC ab Hamburg benötigt. Es darf keinen Freifahrtschein nach oben hin geben. Und für die unteren Einkommen sollte es bessere Unterstützung geben.
Es ist aber nach wie vor günstiger, mit einem Billigflieger nach Süddeutschland oder nach Italien zu fliegen als mit der Bahn dorthin zu reisen. Es sollte attraktiver sein, gute Entscheidungen zu treffen. Das sollte auch damit vereinbar sein, dass diese guten Lösungen auch günstiger werden. Da sollte man mehr Anreize schaffen. Aufgabe der Politik ist es, Anreize und Verbote zu setzen. Aber beides ist wichtig. Nicht nur verbieten, sodass sich dann keiner mehr etwas leisten kann und die Leute Existenzängste haben. Man muss mit beiden Mitteln arbeiten.
Ihre nächste Expedition soll zum Südpol gehen. Was fasziniert Sie am Südpol?
Es ist nochmal eine längere Tour als in Grönland. Es wären jetzt sechs statt vier Wochen. Eine größere Herausforderung. Auch kältere Temperaturen als in Grönland. Ich würde die Tour diesmal auch komplett alleine machen. Wenn ich das dieses Jahr schaffen würde, wäre ich auch die jüngste Frau, der das gelänge. Und mein Plan ist es sogar von vegetarischer auf vegane Ernährung umzusteigen. Und damit wäre ich die erste Person in der Geschichte, die das schaffen würde. Ich bin sicher, dass das möglich ist.
Der erste Mann, der Grönland durchquert hat, ist Fridtjof Nansen im Jahr 1888 gewesen. Und von Nansen stammt der Spruch: “Wer Grönland durchquert hat, kehrt als anderer zurück”. Gilt das auch für Sie?
Ja, sicherlich. Man hat eine unglaubliche Ruhe und Gelassenheit, die man aus der Tour mitbringt. Vier Wochen ohne Handy, ohne Social Media, ohne Emails. Ohne diesen ständigen Einfluss der Gesellschaft, dass man dies oder das tun muss. Man hat auch viel Zeit darüber nachzudenken, was wichtig im Leben ist. Gelöst von den ganzen Reizen, die man sonst erfährt. Und das ist eigentlich auch das Schöne. Dass man nach einer Expedition merkt: Wow, ich habe eigentlich total tolle Menschen in meinem Leben. Und dass vergisst man im Alltag so schnell. Das vergisst man, wenn man eben Instagram und Co. um sich herum hat, wo jeder sich selbst darstellt. Und da merkt man nicht, dass man eigentlich alles hat. Man hat ein super erfülltes und schönes Leben. Das ist eigentlich das Schönste an der Erfahrung in der Natur.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. Juni 2023, 19:30 Uhr