Interview

Warum der Hebammen-Mangel vor allem arme Familien trifft

Eine Hebamme hört mit einem Ultraschallgerät die Herztöne eines ungeborenen Kindes ab. Die Frau ist im 2. Trimester schwanger und liegt auf einem Bett in der Hebammenpraxis. In Bremen fehlten Hebammen vor allem in ärmeren Statteilen.

Bremen bekommt ein zweites Hebammenzentrum

Bild: dpa | Annette Riedl

Am Mittwoch hat das neue Hebammenzentrum in Bremen-Gröpelingen geöffnet. Wieso der Stadtteil gewählt wurde und was es leisten soll, erklärt Koordinatorin Heike Schiffling.

Am Mittwoch hat offiziell das neue Hebammenzentrum in Bremen-Gröpelingen eröffnet. Frauen aus dem Stadtteil können hier unter anderem Antworten zu ihren Fragen rund um die Schwangerschaft und die Pflege ihrer Babys finden. Denn in Gröpelingen ist der Hebammenmangel besonders ausgeprägt. Woran das liegt und was man in den kommenden Jahren erwarten kann, erklärt die Koordinatorin Heike Schiffling im Interview.

Hebammen-Versorgungsquote in Bremen

Hebammenversorgung % Frauen mit Nachsorgehebamme 30-40 40-50 50-60 60-70 70-80 80-90 90-100
Quelle: Gesundheitsberufe-Monitoring, Universität Bremen. Stand: 03.2022.

Frau Schiffling, in Gröpelingen ist der Hebammenmangel besonders groß. Woran liegt das?

Grundsätzlich gibt es in allen Stadtteilen einen spürbaren Fachkräftemangel. Im Zentrum ist es aber so, dass die Versorgung mit Hebammen noch gut ist, weil dort die meisten Hebammen wohnen. Mir ist nur eine einzige Hebamme bekannt, die in Gröpelingen lebt. Die meisten Hebammen nehmen dann nicht den langen Anfahrtsweg nach Gröpelingen auf sich, wenn sie in ihrer direkten Umgebung arbeiten können. Dazu kommt, dass es teilweise auch belastend sein kann, in armen Stadtteilen zu arbeiten.

Wie meinen Sie das?

Die Hebammen werden manchmal bei Hausbesuchen mit Sachen konfrontiert, die eigentlich nicht mehr ihrer Tätigkeit entsprechen. Man kommt hin und der Strom ist abgestellt worden, zum Beispiel. Es ist nicht unsere Aufgabe, mit dem Stromanbieter zu verhandeln, aber wir müssen so was manchmal machen, weil die Familie sonst für andere Sachen nicht aufnahmefähig ist. Ich brauche nicht gute Tipps geben zur Bindung und Pflege des Babys, wenn gerade kein Strom oder Wasser fließt. Vom zeitlichen Management her und aus finanzieller Sicht ist die Arbeit also nicht effizient. Denn solche Aufgaben können wir nicht bei der Krankenkasse abrechnen. Und dann gibt es andere belastende Situationen, etwa Gewalt in der Familie. Das ist überhaupt nicht die Regel, kommt aber in ärmeren Stadtteilen häufiger vor.

Welche Folgen hat die Hebammenknappheit für die Familien?

Oft sind es genau die Familien, die den höchsten Bedarf haben, die davon betroffen sind. Plakativ gesagt: Eine Frau in Schwachhausen, die die finanziellen Möglichkeiten hat, wird andere Wege finden, sich und ihrem Kind zu helfen, wenn sie keine Hebamme findet. Hier im Stadtteil und in anderen Bremer Gebieten ist es so, dass man mit der Hebammenhilfe die Familien ganz gut auf den Weg bringen könnte. Sie würden am meisten davon profitieren, erhalten es aber am wenigsten.

Wie kann man dann dafür sorgen, dass mehr Hebammen in sozial benachteiligten Stadtteilen arbeiten?

Fachkräfte kann man nicht herzaubern, da muss man realistisch sein. Ich glaube aber, dass die Weichen inzwischen gestellt sind. Dass jetzt mehr Hebammen ausgebildet werden. Aber bevor sie bei uns landen, wird es noch dauern. Und wenn die neuen Kolleginnen kommen, werden gleichzeitig auch viele in den Ruhestand gehen. Ich gehöre noch zu den Jüngeren. Es wird also nicht sofort spürbar sein, dass wir mehr Kolleginnen haben, obwohl mehr da sind.

Drei Liegematten mit Kopfkissen liegen vor der Glasfassade eines Raums.
So sah das neue Hebammenszentrum Anfang April aus. Bild: Radio Bremen | Serena Bilanceri

Kann das neue Zentrum das Problem des Hebammenmangels im Stadtteil lösen?

Es ist ein kleiner Anfang. Aber unser Ziel ist es natürlich, dass wir irgendwann möglichst zehn Hebammen hier in Gröpelingen haben. Dann wird das, glaube ich, schon etwas sein, von dem der ganze Stadtteil profitiert.

Was bieten Sie im neuen Zentrum an?

Wir starten jetzt mit zwei Hebammen, im Sommer kommt die dritte Kollegin dazu, aber sie sind alle nicht vollzeitig beschäftigt. Daher schaffen wir es jetzt noch nicht, Hausbesuche anzubieten. Was wir anbieten, sind Sprechstunden, zu denen man hier zu uns kommen kann, in der Schwangerschaft oder nach der Geburt. Ein Zeitfenster, wo man Fragen stellen kann, das Kind gewogen und angeguckt wird, Stillberatung oder Schwangerenvorsorge stattfindet. Und Geburtsvorbereitungskurse natürlich auch.

Sie sind ein multikulturelles Team. Ist das für Ihre Arbeit wichtig?

Ja, es ist wichtig. Wir freuen uns über jede Hebamme, unabhängig vom Geburtsort, aber es ist auch toll, wenn wir unterschiedliche Sprachen und Kulturen abbilden können. In Gröpelingen gibt es einen großen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Viele sprechen sehr gut Deutsch, viele aber auch nicht, vor allem die Frauen. Und wenn kein Dolmetscher dabei ist, kann man sich mit Händen und Füßen verständigen, das geht bei manchen Sachen auch. Aber eine Verhütungsberatung etwa kann ich dann nicht machen.

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  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 10. Mai 2023, 19:30 Uhr