Interview

Erinnerung an den Nationalsozialismus: "Muss noch mehr getan werden"

Der Stolperstein von Hermann Behr auf einem Gehweg in Bremen

Politikexperte über die Bedeutung der Erinnerungskultur in Bremen

Bild: Radio Bremen | Marike Deitschun

Vor 80 Jahren wurde Deutschland vom Nationalsozialismus befreit. Das Thema Erinnerungskultur ist aktueller denn je, erklärt ein Bremer Politologe.

Am 8. Mai wird an die Befreiung vom Nationalsozialismus erinnert. In Berlin ist der Tag in diesem Jahr einmalig ein gesetzlicher Feiertag. Was das über die Erinnerungskultur auch in Bremen aussagt, erklärt Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung in Bremen.

Herr Köcher, was sagt es über die Erinnerungskultur, dass dieser 8. Mai nur in Berlin ein Feiertag ist – und nur dieses eine Mal?

Es sagt zumindest, dass dieser Tag an Bedeutung noch gewinnen könnte. Bei einigen Leuten hat das schon eine große Bedeutung, glaube ich. Aber es ist noch nicht auf dem Level, auf dem man des Tages nochmal gedenken könnte.

Was wäre denn für Sie ein richtiges Gedenken?

Man müsste sich diesen Tag nicht nur rückblickend, sondern immer mit Gegenwartsbezügen und auch mit Blick auf die Zukunft anschauen. Der "Tag der Befreiung" wirft auch Fragen auf: Wovon sind wir eigentlich befreit worden? Wer wurde befreit? Wie sieht diese Diskussion zum Tag der Befreiung heutzutage aus? Das sind die wichtigen Themen an diesem Tag.

Sind Sie der Ansicht, dass in Bremen genug getan wird, um zu erinnern – auch seitens der Politik?

Wir haben schon eine ziemlich gute Erinnerungskultur und -landschaft in Bremen. Die ist gerade zivilgesellschaftlich gesehen sehr stark und gut besetzt.

Aber es muss noch mehr getan werden. Es muss vor allem auch in die Zukunft gedacht werden, weil wir es mit neuen Generationen zu tun haben und die haben andere Ansprüche. Die Frage ist, ob unsere Erinnerungskultur diesen Ansprüchen dauerhaft genügt.

Sie haben die Aufgabe, Menschen zu sensibilisieren für viele Dinge, die derzeit in der Politik passieren. Was tun Sie, um da ein bisschen nachzuhelfen?

Auf der einen Seite haben wir den Bunker Valentin, der ganz viele Bildungsangebote genau zu diesen Themen macht. Was wir aber auch brauchen, sind dezentrale Projekte, wie beispielsweise die Stolpersteine in Bremen.

Wir haben hier über 800 Stolpersteine. Diese Stolpersteine erzählen Geschichten von Leuten, die verfolgt und ausgegrenzt worden sind. Wir müssen es schaffen, dass diese Geschichten permanent bearbeitet werden, auch von jungen Menschen und mit neuen Medien.

Diese Frage von Krieg und Frieden ist hochaktuell.

Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Thomas Köcher wird interviewt.
Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung

Aber da muss ja auch jemand hingehen und sich für die Geschichte interessieren. Wie bekommt man die Leute dazu?

Wir müssen in den heutigen Diskussionen immer wieder den Rückbezug machen. Wenn wir über die Gefährdung von Demokratie sprechen oder merken, dass nationalsozialistische Ideologie wieder für einige Menschen attraktiv ist – für fast 30 Prozent von jungen Menschen – dann muss man sich fragen: Was war das denn eigentlich damals?

Dieser Rückgriff und der Gegenwartsbezug müssen allgegenwärtig sein. Wir haben schon mal die Erfahrung mit Ausgrenzung und mit dem Leben in einer nationalsozialistischen Ideologie gemacht. Diese Chance, die wir dadurch auch gewonnen haben, müssen wir auf jeden Fall nutzen. Man kann diese Diskussion nicht führen ohne den Rückgriff auf die Geschichte.

Gibt es eine Empfehlung zum Beispiel für Eltern und Lehrer, die nicht wissen, wie sie Menschen dafür sensibilisieren? Wie kommt man ins Gespräch?

Letztendlich gibt es in jedem Stadtteil irgendwelche Orte, die an den Nationalsozialismus erinnern. Es gibt keinen Stadtteil ohne Stolpersteine. Ich finde es spannend, die immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, und das kann man auch ganz einfach machen.

Es gibt etwa die Seite "Spurensuche Bremen", dort sind alle Orte verzeichnet. Da kann man einfach mal schauen: Was hat das mit meinem heutigen Leben zu tun? Wer war das und wo haben die gelebt?

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 8. Mai 2025, 8:10 Uhr