Infografik

Warum Bremer Schüler ihren Lehrern oft die Ipads erklären müssen

Wie sich das digitale Lernen an Bremer Schulen entwickelt hat

Bild: dpa | Guido Kirchner

Bremen gilt als führend bei der Digitalisierung der Schulen. Um aber weiter voranzukommen, müssen die Schulen Ipads und Itslearning besser nutzen, sagen Schüler wie Lehrer.

Leichte Anflüge von Verzweiflung stehen Jan Thiele ins Gesicht geschrieben. Der Mathe- und Musiklehrer der Oberschule Koblenzer Straße in Osterholz-Tenever versucht gerade, im Projektunterricht vor einer neunten Klasse das Bild seines Tablets auf den großen Fernseher zu spiegeln, damit er seinen Schülerinnen und Schülern Ergebnisse präsentieren kann. Aber irgendetwas hakt. Am Ende ist es sein Schüler Sahed, dem es gelingt, die technischen Probleme zu beheben und das Bild auf den Fernseher zu spiegeln.

Sahed kennt das schon. Denn Thiele ist nicht der einzige Lehrer, der Unterstützung beim Umgang mit dem Tablet braucht: "Ja, das passiert häufiger. Sie kennen sich halt mit den Techniken, also mit den Ipads, nicht so gut aus wie wir Schüler", sagt Sahed über seine Lehrerinnen und Lehrer.

Lehrer lernen von Schülern

Der Neuntklässler aus Tenever steht mit seiner Beobachtung keinesfalls allein auf weiter Flur. Dass nicht etwa nur Lehrer ihren Schülern zeigen, wie man mit einem Tablet umgeht, sondern oft auch umgekehrt – das könne man an vielen Schulen im Land Bremen beobachten, sagt etwa Noyan Özdemir, Vorsitzender des Stadtschülerrings (SSR) Bremerhaven sowie Schülersprecher des Lloyd Gymnasiums Bremerhaven.

Wie sehr das Ipad in den Unterricht eingebunden wird, hängt stark davon ab, wie die Lehrkraft damit umgehen kann oder will.

Schülersprecher Noyan Özdemir

Doch obwohl der Schülersprecher bei vielen Lehrkräften Luft nach oben im Umgang mit der Technik sieht, möchte er Bremens Verdienste um die Digitalisierung der Schulen nicht klein reden, wie er sagt: "Die Ipads sind sehr hilfreich für uns Schülerinnen und Schüler. Und Itslearning hilft uns auch. Die Schulen sind damit bei der Digitalisierung einen großen Schritt vorangekommen."

Bremens Mittel der Wahl: Tablets und Itslearning

Schülerin lernt mit der "itslearning" Software
Bremens Schulen arbeiten mit der Lernplattform "Itslearning". Bild: itslearning | Dpa

Itslearning – das ist das Lernmanagementsystem, das Bremen zwar bereits 2015 für die Schulen eingeführt hatte, dem aber erst die Corona-Pandemie zum Durchbruch im Zwei-Städte-Staat verhalf. Zur Erinnerung: Präsenzunterricht war nur eingeschränkt möglich. Das Bildungsressort stattete alle Schülerinnen und Schüler des Landes sowie die Lehrkräfte mit insgesamt rund 100.000 Tablets aus, zunächst insbesondere für das Homeschooling, also für den Fernunterricht von zuhause. Die mobilen Endgeräte sollten vor allem den problemlosen Zugang zum Internet und zu Itslearning sicherstellen. Dadurch wurde Itslearning in Bremen, obwohl gar nicht hauptsächlich für den Fernunterricht konzipiert, unverzichtbar für die Schülerinnen und Schüler – zumindest in der Theorie.

"Itslearning hilft vor allem, wenn man etwas nacharbeiten oder sich gezielt auf eine Klausur vorbereiten möchte", erklärt Noyan dazu. Denn die Lehrkräfte hinterlegten in dem Managementsystem – sofern sie damit zurechtkommen – alle Arbeitsblätter. Und wer beim Lernen eine Frage habe, könne über Itslearning die Lehrenden einfach kontaktieren. Die Software helfe den Schülerinnen und Schülern, eine Grundordnung und damit den Überblick über den Lernstoff zu behalten.

Ausruhen aber dürfe sich Bremen auf den Erfolgen mit Tablets und Itslearning nicht, stellt Noyan klar: "Es muss jetzt weitergehen." Wünschenswert wäre etwa, dass noch mehr Lehrkräfte mit der Technik umgehen könnten als derzeit und dann entsprechend den Unterricht umgestalteten. Derzeit spiele das Tablet dort nur in unregelmäßigen Abständen eine Rolle.

100.000 Ipads im Land Bremen und ihre Kosten

iPads für Schülerinnen und Schüler im Land Bremen 90.000 iPads für Schülerinnen und Schüler iPads für Lehrkräfte 10.000 57 Mio. Euro 10 Mio. Euro Digitalpakt Schule 47 Mio. Euro Bremen Fonds
Quelle: Senatorin für Kinder und Bildung der Freien Hansestadt Bremen

Tablet: Mehr als nur Ergänzung des klassischen Unterrichts?

Auch wenn ihm noch nicht alles mit dem Tablet glückt: Musiklehrer Jan Thiele zählt zu jenen Lehrern, die das Gerät regelmäßig für den Unterricht nutzen. Er lässt Schüler mit Schnittprogrammen arbeiten und eigene Songs komponieren. Bei aller eigenen Wertschätzung für Tablets hat er aber auch Verständnis für jene Kolleginnen und Kollegen, die sich schwer damit tun, das alte, wohlstrukturierte Arbeitsheft gegen ein mobiles Endgerät einzutauschen. Zumal es noch an digital verfügbaren Lehrbüchern mangele. "Wenn wir jetzt anfangen, alle möglichen Lernpfade selbst zu basteln, ist das sehr viel Arbeit", gibt Thiele zu bedenken.

Genau hierin liegt offenbar für viele Lehrkräfte die große Herausforderung. Es gibt noch kein Handbuch dafür, wie man Lerninhalte sowohl klassisch als auch digital vermitteln kann. Somit liegt es an jedem selbst, wie er oder sie das Ipad in den Unterricht einbindet. Für den Schulleiter der Oberschule Koblenzer Straße, Christian Scheid, ist aber ein Punkt beim digitalen Lernen besonders wichtig: "Wenn es als Ergänzung des klassischen Schulunterrichts nur gesehen wird, dann können wir es lassen. Denn wenn ich statt mit Kreide mit einem Stift auf dem Ipad schreibe, ist das keine große Errungenschaft." Es gebe viel weitreichendere Möglichkeiten, um mit dem Tablet zu arbeiten. Das Internet eröffne den Zugang zu vielen verschiedenen Wissensquellen, die man etwa über den "Brockhaus" nicht finde.

Bei allen Vorzügen der mobilen Endgeräte gibt es aus Sicht Scheids aber noch eine Reihe offener Fragen: Ab wann etwa wird es in Bremen zusätzliches Personal geben, das sich um die Wartung der Geräte kümmert? Und: Wer legt fest, was die perfekte Mischung aus klassischem Unterricht und digitalem Lernen ist?

Über 70.000 Itslearning-Nutzer in Bremen

Trotz solcher Ungewissheiten zeigt sich Bremens Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) stolz über das, was Bremens Schulen aus ihrer Sicht bei der Digitalisierung bislang erreicht haben.

Die Ipads sind alltäglicher Bestandteil im Unterricht geworden, sind Kultur-Zugangsgerät für die Schülerinnen und Schüler, werden im Austausch genutzt, in der Recherche.

Bildungssenatorin Sascha Aulepp im Interview.
Bildungssenatorin Sascha Aulepp

Wie die Ipads, so werde auch Itslearning mittlerweile im großen Stil in Bremen genutzt, teilt Aulepps Ressort weiter mit. So hätten sich allein im November 72.500 Nutzerinnen und Nutzer insgesamt 170.000 mal in die Lernplattform eingeloggt, die noch vor gut zwei Jahren kaum eine Rolle in Bremen spielte.

Dass Bremens Schulen innerhalb dieser zwei Jahre sehr weit bei der Digitalisierung vorangekommen seien – dieser Hinweis ist auch Rainer Ballnus wichtig. Er leitet den Bereich "Bildung in der digitalen Welt" des Bremer Bildungsressorts. "Zwei Jahre sind sehr kurz", betont Ballnus immer wieder. "Wir sind europaweit die Ersten", sagt er mit Hinblick auf die Tablets an den Schulen: "Wir können nicht auf andere schauen, um uns etwas abzugucken, sondern müssen eigene Erfahrungen machen. Dazu braucht man einfach ein bisschen Zeit."

"Mega-Thema für die nächsten Jahre"

Momentan baue das Land Bremen die W-Lan-Netze an weiterführenden Schulen aus, nachdem man in den vergangenen beiden Jahren den Fokus beim W-Lan-Ausbau auf die Grundschulen gelegt habe. Unabhängig davon treibe Bremen mit diversen Fortbildungsangeboten die Weiterbildung der Lehrer im Umgang mit digitalen Lernmitteln voran. "Wir machen es grundsätzlich so, dass wir den Lehrenden zuerst die Geräte geben, damit sie sich einarbeiten können, und später den Schülerinnen und Schülern", erklärt Ballnus das Grundprinzip, nach dem Bremen auch bei der Einführung der Tablets vorgegangen sei.

Gleichwohl müsse man auch den Lehrenden zugestehen, dass sie ein wenig Zeit bräuchten, um sich in neue, digitale Lehr- und Lernmethoden einzuarbeiten: "Ich bitte um Verständnis dafür, dass noch nicht alle Schulen und Lehrer die Technik gleichermaßen einsetzen." Es handele sich bei der Digitalisierung an Bremens Schulen um ein riesiges Pilotprojekt. "Das ist ein Mega-Thema für die nächsten Jahre", so Ballnus.

Wo Bremen beim Einsatz digitaler Medien in der Schule und im Unterricht steht, wird noch bis ins Jahr 2024 laufend durch das Institut für Informationsmanagement (ifib) der Uni Bremen evaluiert. Derzeit laufe die dritte Befragungswelle, sagt Ballnus. Mit den Ergebnissen dazu sei im Frühjahr zu rechnen. Doch Ballnus zeigt sich schon jetzt optimistisch: "Es tut sich wirklich sehr viel." Bei der Digitalisierung seien Bremens Schulen bundesweit Spitze.

Autorinnen und Autoren

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 9. Januar, 19.30 Uhr