Hintergrund

Wie ein Bremer Kaufmann auf Kuba von der Sklaverei profitierte

Wie sehr profitierte Bremen von der Sklaverei?

Bild: dpa | Bildagentur-online/Sunny Celeste

Ab Ende des 18. Jahrhunderts zog es Kaufleute in die Karibik und Teile der USA, um Handel mit Kaffee, Zucker oder Baumwolle zu treiben – von Sklaven produzierte Waren.

Wehmut umgab ihn am Vorabend seiner Reise, dabei ging es in die Karibik: Der 20-jährige Richard Fritze, Spross einer in Bremen ansässigen Kaufmannsfamilie, sollte im Dezember 1843 von Bremerhaven nach Trinidad de Cuba segeln, um sich dort Arbeitserfahrungen im Ausland anzueignen. Das Schiff und das Handelsunternehmen, W.A. Fritze & Co., für das er arbeitete, gehörten seinem Onkel. Doch kurz vor seiner Abreise plagte ihn schon Heimweh. So beginnt die Geschichte von Richard Fritze, der sich auf Kuba angekommen vom wehmütigen und schwärmerischen jungen Mann zum Sklavenhalter entwickeln sollte.

Richard Fritze, Bremer Kaufmann (1823-1883)
Porträt von Richard Fritze: Zurück in Bremen machte er Karriere als Mitglied in Aufsichtsräten und der Bremischen Bürgerschaft. Bild: Die Maus Bremen Gesellschaft für Familienforschung

Sklaverei und Sklavenarbeit gab es bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. Produkte wie Baumwolle, Zucker und Kaffee brachten viel Geld nach Europa. Sklaven wurden auf den Plantagen von Vorarbeitern auch mit Peitschen zu schwerer Arbeit unter sengender Sonne angetrieben, Vergehen und Fluchtversuche bestraften Sklavenhalter nach eigenem Ermessen. Die eigenen Lebensmittel mussten Sklaven häufig noch selbst anbauen und nach der Feldarbeit weitere Arbeiten verrichten. Hygienisch schlechte Zustände führten zu Krankheiten, auch zum Tod.

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Historiker beschäftigen sich mit Verstrickungen in Sklavenwirtschaft

Porträt von Jasper Henning Hagedorn, Historiker
Der Historiker Jasper Hagedorn untersuchte in seiner Doktorarbeit, was Bremer Kaufleute mit Sklaverei zu tun hatten. Bild: Radio Bremen | Verena Patel

Die Geschichte von Fritze und mehreren weiteren Bremer Kaufleuten wie den Brüdern Wilckens, dem Zuckerfabrikanten Johann Böse oder Henrich Müller, der Ende des 18. Jahrhunderts in der Spitze sogar sieben Plantagen auf der dänischen Kolonie St. Thomas besaß, haben die Bremer Historiker Horst Rössler 2016 und Jasper Henning Hagedorn 2023 aufgearbeitet. Das Leben und Denken von Richard Fritze auf Kuba lässt sich besonders gut nachvollziehen, weil viele Quellen erhalten sind, die Stationen aus Fritzes Leben und seine Haltung zur Sklaverei beleuchten, wie sein Briefkopierbuch und sein Tagebuch, aufbewahrt im Bremer Staatsarchiv.

Fritze steigt auf Kuba vom kaufmännischen Angestellten in der Firma des Onkels zum Unternehmer mit eigenem Geschäftspartner auf. 1850 wird er zum Bremer Konsul auf Kuba ernannt, besitzt also eine herausgehobene Stellung unter den dort lebenden Bremer Kaufleuten. Seinen Platz in der Bremer Elite festigt er drei Jahre später durch Heirat: Bei einem Bremen-Besuch wird Johanna Dorothea Duckwitz, die Tochter des späteren Bürgermeisters Arnold Duckwitz, seine Frau. Kein seltenes Vorgehen: Die politische und wirtschaftliche Elite Bremens war durch Verwandtschaft, Verschwägerung und Freundschaft miteinander verzahnt, schreibt Historiker Hagedorn in seiner Doktorarbeit.

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Teil der Bremer Elite trotz Sklavenbesitz

Kurz später kauft Fritzes Unternehmen die Zuckerplantage "Buena Vista" (Deutsch: Schöne Aussicht) auf Kuba. Zu den bereits dort versklavt lebenden Menschen kauft er weitere hinzu, schließlich sorgen mehrere hundert Sklaven für den Ertrag auf seiner Plantage. Zum Thema Sklavenbesitz beruhigt Schwiegervater Arnold Duckwitz Fritze in einem Brief: Niemand denke schlecht über ihn. Was Fritze über die Sklaverei denkt, schreibt er in einem Brief an seinen Cousin Johannes, der ebenfalls Kaufmann ist und Bedenken äußert: "Schlechtigkeit und Ungerechtigkeit, wiederhole ich, besteht beim Sclavenhandel nicht im Handel, sondern in der Ausführung des Handels und später in der Behandlung der Sclaven, und hauptsächlich in der Folge der Illegalität."

Plantage Buena Vista des Bremers Richard Fritze auf Kuba. Lithografie von Eduardo
Die Zuckerplantage des Bremer Kaufmanns Richard Fritze auf Kuba. Zu seiner Zeit arbeiteten dort in der Spitze mehrere Hundert versklavte Menschen. Bild: Privatarchiv Zeuske, Leipzig/Bonn

Das sei ein beliebtes Narrativ gewesen, sagt Historiker Rössler: "Den Sklaven geht es nicht so schlecht wie den Auswanderern, sie bekommen zu essen, eine Unterkunft und haben Arbeit." Als Fritze nach 15 Jahren auf Kuba nach Bremen zurückkehrt, macht er dort weiter Karriere: Er wird unter anderem Mitglied im Verwaltungsrat der AG Weser und im Aufsichtsrat des Norddeutschen Lloyd sowie Bürgerschaftsmitglied. Am Osterdeich bezieht er eine repräsentative Villa, von der heute nur noch das ehemalige Kutscherhaus übrig ist, wie in Materialien des Staatsarchivs herauszufinden ist.

Recherchen kratzen am Bild des hanseatischen Kaufmanns

Das aufgeschlagene Tagebuch von Richard Fritze, Bremer Kaufmann (1823-1883)
Das Tagebuch von Richard Fritze: Hier schreibt er unter anderem von seinem Heimweh und berichtet von der Ankunft eines Sklavenschiffes. Bild: Radio Bremen | Verena Patel

Abschließend geklärt ist die Rolle Bremens in Bezug auf die Sklaverei nach Ansicht von Experten noch lange nicht. Nicht zuletzt kratzen die Fälle verschiedener Bremer Kaufleute am Bild des hanseatischen Kaufmanns, der als "grundehrlich" galt, wie Rössler ergänzt. "Bremer Kaufleute wurden dargestellt als Pioniere und Entdecker. Das ist eine überkommene Vorstellung, denn man hat nur darauf geschaut, was sie finanziell für Bremen beigetragen haben", spitzt Hagedorn zu. Es habe bis in die 2010er-Jahre gedauert, bis Historiker begonnen hätten, dieses Bild zu hinterfragen.

Konrad Elmshäuser, Leiter des Bremer Staatsarchivs, sieht die Notwendigkeit zu weiterer Forschung zum Thema Bremen und Sklavenwirtschaft: "Welche Rolle hat das für die städtische Wirtschaft gespielt? Wie hoch war der Anteil vom Profit einer Sklavenökonomie am Wohlstand?", fragt er. Dazu müsse man sich die Einfuhren genau anschauen. Das allerdings, so Elmshäuser, sei schwierig, die Datenlage eher dünn. Was die Frage nach Verwicklungen Bremer Kaufleute in die Sklaverei angeht, spricht er nach den aktuellen Erkenntnissen von Einzelfällen.

Die Frage ist: Wo fängt Beteiligung an?

Porträt von Virginie Kamche, Fachpromotorin für Migration
Virginie Kamche ist Mitgründerin des Afrika Netzwerks Bremen. Bild: Radio Bremen | Verena Patel

Die Frage nach einer Beteiligung oder Verwicklung ist Definitionssache: Ist nur beteiligt, wer selbst Sklaven hielt oder gar schmuggelte? Oder auch, wer eine auf Ausbeutung basierende Wirtschaft in Kauf nahm, wenn es dem eigenen Profit diente? Die Postkoloniale Theorie nimmt seit Mitte des 20. Jahrhunderts die Folgen von Kolonisierung in den Blick, aber auch Denkmuster, wie Rassismus, die Überzeugung einer (west)-europäischen kulturellen Überlegenheit, die am Ende begründet, warum bestimmte Völker andere unterwerfen "dürfen". Ein Nährboden für Sklavenhandel und Sklaverei. "Der Alltagsrassismus, den schwarze Menschen heute erleben, hat viel mit der Geschichte der Sklaverei zu tun", ist Virginie Kamche überzeugt. Sie ist Mitgründerin des Afrika Netzwerks Bremen und engagiert sich für Migration. Aus ihrer Sicht sind die Verstrickungen von Kaufleuten in die Sklaverei noch nicht gut genug bekannt. "Es gibt viele Menschen, die wollen es nicht wissen", meint sie. Sie vermutet auch eine Angst dahinter, zur Verantwortung gezogen zu werden.

Die Bremer Handelskammer war zur fraglichen Zeit an der Ernennung der Bremischen Konsuln in Übersee beteiligt. "Für uns ist die Aufarbeitung der Sklaverei des 18. und 19. Jahrhunderts – auch der bremischen Beteiligung – ein wichtiger Baustein dafür, dass wir uns dieses menschliche Unrecht in neuer Perspektive vor Augen führen und deutlich sagen: So etwas darf es nicht geben! Als Handelskammer haben wir daher nicht den geringsten Zweifel daran, dass wir unser Archiv für die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema öffnen, um einen Beitrag dazu zu leisten, die Hintergründe zu erhellen", teilt die Kammer schriftlich mit.

Aufarbeitung: Welche Rolle spielte Bremen im Kolonialismus?

Bild: Radio Bremen

Autorin

  • Patel Verena
    Verena Patel Redakteurin und Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen Extra, 7. Januar 2025, 19:30 Uhr