Exklusiv
Studie: Keine Mehrheit im Land für Bremens Klimaschutz-Zeitplan
Die Politik hat es bislang nicht geschafft, genügend Menschen im Land Bremen für ihre Klima-Ziele zu gewinnen. Das geht aus einer neuen Studie zur Klimaschutzpolitik hervor.
"Ansichten und Einsichten zur Klimapolitik": So lautet der Titel der repräsentativen Umfrage des Bremer Sozialwissenschaftlers Uwe Engel unter der Bremer und der Bremerhavener Bevölkerung. 451 durch ein unabhängiges Forschungspanel ausgewählte Personen im Land Bremen haben sich daran beteiligt. Engel möchte die Studie in den kommenden Tagen auf der Webseite "viewsandinsights.com" veröffentlichen. buten un binnen präsentiert einige Ergebnisse daraus exklusiv vorab:
Finden Sie es richtig, dass Bremen so schnell klimaneutral werden will?
Bremen will als Bundesland bis 2038 klimaneutral sein, Deutschland bis 2045 und die Europäische Union bis 2050. Knapp die Hälfte der Befragten findet es richtig, dass Bremen sieben Jahre vor dem Bund und zwölf Jahre vor der EU die Klimaneutralität erreichen möchte. Dabei fällt auf, dass insbesondere die jungen Befragten ein schnelles Vorgehen Bremens befürworten. So finden rund 70 Prozent der 18- bis 25-jährigen Befragten den straffen Zeitplan Bremens richtig. In der Altersgruppe der 60- bis 70-Jährigen sind dagegen nur gut 40 Prozent von Bremens Zeitplan überzeugt.
Unterm Strich bedeutet das: Es gibt für den Bremer Zeitplan keine mehrheitliche Unterstützung im Land Bremen. "Ohne Akzeptanz in der Bevölkerung wird die Energiewende aber bestenfalls suboptimal funktionieren können", kommentiert Uwe Engel dieses zentrale Ergebnis seiner Studie. Die Gleichung "besonders schnell gleich besonders wirksam" könne nicht aufgehen, wenn die Schnelligkeit etwa zu Lasten der technischen Umsetzbarkeit und der Bezahlbarkeit gehe.
Inwiefern rechtfertigt Klimaschutz neue Bremer Schulden?
37,8 Prozent der Befragten tendieren zu der Aussage, dass Klimaschutz jede Schuldenaufnahme rechtfertigt (Skalenwerte -3 bis -1). Doch dem gegenüber stehen 46,7 Prozent, die zu der gegenteiligen Auffassung neigen. Sie finden, dass die Schulden künftige Generationen zu sehr belasten würden (Skalenwerte +1 bis +3). Der Bevölkerungsanteil, der die Kreditaufnahme kritisch betrachtet, ist somit um 8,9 Prozentpunkte größer als der Anteil derer, die die Kreditaufnahme durch den Klimaschutz als gerechtfertigt ansehen.
Dabei fällt auf, dass die jüngeren Befragten grundsätzlich häufiger der Verschuldung für den Klimaschutz zustimmen als die älteren. Am größten fällt der Zuspruch in der Gruppe der 25- bis 30-Jährigen aus. 45,6 Prozent der Befragten dieser Altersgruppe befürworten die Schuldenaufnahme. Lediglich 33,8 Prozent sprechen sich dagegen aus. Bei den Über-40-Jährigen dagegen überwiegt die Skepsis gegenüber der Schuldenaufnahme. Sie sprechen sich mehrheitlich gegen die Schuldenaufnahme zur Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen aus.
Vor dem Hintergrund der Überlegung, wer diese Schulden letztlich zu begleichen haben wird, —also eher die jüngere als ältere Generation —, hätte man das vielleicht auch umgekehrt erwarten können.
Sozialwissenschaftler Uwe Engel
Welche übergeordneten Ziele soll Deutschland beim Klimaschutz verfolgen?
Die Befragten messen drei der sieben abgefragten Zielen eine besondere Bedeutung bei: der Bezahlbarkeit, der Versorgungssicherheit und der Umsetzbarkeit. Relativ weit unten rangiert dagegen der Umweltschutz. Er taucht erst in der dritthäufigsten Anwort-Konfiguration auf – und auch dort erst an dritter Stelle.
Engel wertet insbesondere den hohen Stellenwert des Faktors "Bezahlbarkeit" auch als Ergebnis eines Politikstils, der viele Menschen verunsichert habe. Immer wieder habe sich die Politik über öffentlich vorgetragene Bedenken der Menschen hinweg gesetzt, um an ihrem Zeitmaß festzuhalten: Ganz gleich, ob es etwa um Bedenken wegen hoher Anschaffungskosten einer neuen Heizung oder auch wegen des Mangels an verfügbaren Handwerkern gegangen sei.
Ist die Wärmewende im Gebäudesektor gerechtfertigt?
Die Tendenz bei den Befragten geht klar in die Richtung, dass wir zum Klimaschutz so viel Kohlendioxid einsparen müssen wie möglich: 45,3 Prozent sprechen sich dafür aus (Antwortkategorien - 3 bis -1). 32,7 Prozent dagegen neigen zu der Einschätzung, dass die Wärmewende den Menschen für das erzielbare Einsparpotenzial viel zu viel zumuten würde (Antwortkategorien +1 bis +3).
Wie sehr sehen Sie sich persönlich beim Klimaschutz in der Pflicht?
Am Median gemessen, liegt die mittlere Stärke des Verantwortungsgefühls in der Bremer Bevölkerung bei 6,3 auf einer Skala von 0 bis 10. Sie liegt damit leicht oberhalb des nominellen Mittelpunkts der Skala von 5.
Welcher dieser Meinungen könnten Sie sich eher anschließen?
36,9 Prozent der Befragten tendieren dazu, dass sich die Bundesrepublik keine strengen Klimaschutz-Ziele auferlegen sollte, solange andere Länder das Klima der Erde sehr viel stärker belasten. Demgegenüber finden 43,1 Prozent, dass Deutschland unbedingt mit strengen Klimaschutzmaßnahmen vorangehen sollte, obwohl es zuletzt nur knapp zwei Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen beigetragen hat. Der Bevölkerungsanteil, der sich für das Vorangehen mit strengen Klimaschutzmaßnahmen ausspricht, ist somit um 6,2 Prozent größer als der Bevölkerungsanteil, der zu der gegenteiligen Auffassung neigt.
Uwe Engel räumt ein, dass er mit einer größeren Mehrheit für die Verfechter strenger Klimaschutz-Maßnahmen in Deutschland gerechnet hatte: "Die Politik tut nicht, was sie tun sollte, um die Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen zu erhöhen." Das sei umso bedauerlicher, als die Bevölkerung erneuerbaren Energien aufgeschlossen gegenüber stehe. Engel glaubt, dass eine weniger restriktive Politik, die stärker auf die Bedürfnisse der Bevölkerung eingeht, zielführender für den Klimaschutz wäre.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 30. April 2023, 12 Uhr