Geschäfte mit Zuwanderern: Wer ist der Pate von Varna?
Er spielt in der Szene bulgarischer Arbeiter in Bremerhaven eine bedeutende Rolle. Doch wer ist der Pate von Varna? Viele Informanten erzählen etwas über ihn. Andere brechen sofort den Kontakt ab, wenn sie seinen Namen hören. Der Pate blieb fast ein Jahr lang ein Phantom – bis unsere Reporter im Wortsinn über ihn stolperten. Ein Recherche-Tagebuch.
Kontakt blockiert – nichts geht mehr. Die Frau, die sich nach den ersten Berichten zum mutmaßlichen Sozialbetrug per Facebook bei uns gemeldet hatte, hat uns geblockt. Wir wundern uns: Sie hatte in drastischen Worten erzählt, dass in der Szene der bulgarischen Zuwanderer auch Gewalt im Spiel war. Dubiose Arbeitsvermittler würden physisch und psychisch massiven Druck ausüben, besonders eine Person sei daran beteiligt gewesen. Der Druck sei so massiv gewesen, dass das Paar schließlich nach Hessen geflohen sei. Als wir die Frau bitten, von ihrem Mann nähere Informationen zu der gewalttätigen Person zu erfragen, blockiert sie uns ohne weitere Erklärung.
Die Reaktion überrascht uns. Wir hatten sehr viele Menschen zu vielen Personen rund um den Sozialskandal befragt – natürlich, viele baten um Anonymität, aber blanke Angst hatte bislang niemand. Die harsche Ablehnung der ansonsten offenen und mitteilungsbedürftigen Frau hatte eine andere Qualität.
Wer ist Teo?
Wir haben nichts als den Spitznamen des Mannes: Teo*. Wir fragen bei unseren Informanten nach. Tatsächlich: Viele kennen einen Teo, wir haben schnell einen Realnamen und eine Adresse. Doch die Aussagen, die die geflüchtete Frau über ihn gemacht hatte, passen vorn und hinten nicht zu diesem Teo – später erfahren wir, dass es in der Arbeiterszene einen zweiten Akteur mit diesem Spitznamen gibt. Zunächst aber verläuft diese Recherche im Sand, andere Handlungsstränge des mutmaßlichen Sozialbetruges stehen nun im Vordergrund.
Als wir Monate später das Firmennetzwerk rund um die bulgarischen Zuwanderer recherchieren, bekommen wir tausende Dokumente zugespielt. Darunter befinden sich Schriftverkehr, Dokumente und Rechnungen, aus denen hervorgeht, in welchen Strukturen die Bulgaren in den Arbeitsmarkt geschleust werden. Die Durchsicht dauert Tage, doch sie lohnt sich. Es entsteht ein recht klares Bild über die Geld- und Menschenströme.
Ein bulgarischer Geschäftsmann kommt in den Fokus
Wie immer in solchen Fällen führen wir eine Gegenrecherche der gewonnen Daten über amtliche Register durch. So lässt sich etwa zweifelsfrei herausfinden, wem eine Firma gehört, wem sie weiterverkauft wurde oder wie ihre Bilanzen aussehen. Interessante Fakten kommen ans Licht. Im Zentrum steht offenbar ein in Bremerhaven lebender Bulgare, dem gleich mehrere Firmen gehören: Ilian F.* Von einem Firmenverkäufer aus der Nähe von Aachen hatte er zunächst eine "Firmenhülle" gekauft: eine GmbH, die bereits die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung hatte, also Arbeitnehmer verleihen durfte.
Die behördliche Gewerbeanmeldung führt die typischen "schmutzigen" Tätigkeiten auf, für die traditionell billige ausländische Arbeitskräfte eingesetzt werden: Korrosionsschutzarbeiten, Tankreinigung, Industriemontage im Schiffbaubereich und Strahlreinigung sowie "Arbeitnehmerüberlassung in den genannten Bereichen".
Perfekte Wertschöpfung mit Zuwanderern
Gleichzeitig führte F. mehrere Firmen im bulgarischen Varna. So konnte er in der bulgarischen Stadt gezielt Arbeiter anwerben und sie nach Bremerhaven holen. Hier trat er als Wohnungsvermieter der EU-Zuwanderer auf. Mit seiner seriösen deutschen GmbH ging er schließlich an den Markt. Aus F.s Sicht eine perfekte Wertschöpfungs-Kette.
Wir sehen nun etwas klarer und fragen noch einmal unsere Informanten nach Ilian F. Die nächste Überraschung: Ein weiterer Informant, den wir lange und gut kannten, der verlässlich und in Bremerhaven gut verankert ist, springt sofort ab, als er den Namen hört. Er wünsche keine weitere Kommunikation mehr. Andere Informanten können mit dem Namen überhaupt nichts anfangen.
Ilian F. lässt Bulgaren für namhafte Kunden arbeiten
Wir weiten die Recherchen auf die Firmen aus, die in den zugespielten Dokumenten genannt werden. Danach hat Ilian F.s bulgarische Firma als Sub-Unternehmen für einen Bremerhavener Dienstleister gearbeitet, der einen großen Kreis teils namhafter Kunden hat. Bekannte Industriekonzerne, staatliche Einrichtungen wie Schulen, eine niedersächsische Umlandgemeinde: Viele ließen über das Subunternehmen Bulgaren für sich arbeiten – ohne es wohl zu wissen, denn die Preise der Dienstleister, der wiederum Ilian F. beauftragte, waren marktüblich.
Dieses Dienstleistungsunternehmen interessiert uns. Es hat einen professionellen Markenauftritt im Internet. Das Büro im Bremerhavener Süden sieht schon nicht mehr ganz so repräsentativ aus. Wir sind mit einem Kamerateam unterwegs und sammeln Bilder für unser Magazin buten un binnen ein und merken: die Tür ist offen. Der Geschäftsführer C. ist anwesend, ein freundlicher und gesprächsfreudiger Mann.
"Ilian F. arbeitet sauber"
Wir fragen ihn direkt nach unserem Phantom, das mittlerweile immerhin einen Namen hat. Klar, sagt der Inhaber, kenne er Ilian F. Er habe viel mit ihm gearbeitet und tue das gelegentlich immer noch. F. würde sauber arbeiten, habe nur manchmal Probleme, wenn die Auftraggeber nicht zahlen würden – dann bekämen Ilian F.s Mitarbeiter ihr Geld auch mal zu spät.
Wie man F. denn erreichen könne? C. will uns eine Telefonnummer besorgen. Wir sind skeptisch, alle bisherigen Kontaktversuche hatten ins Nichts geführt. Als C. uns nach dem Gespräch zur Tür bringt, sagt er: "Da ist er ja!". Auf der anderen Straßenseite ziehen zwei Männer einen Zaun hoch. Einer von beiden soll Ilian F. sein – über ihn waren wir gerade vorhin fast gestolpert.
Das Phantom spricht mit uns
Wie ein Pate oder Firmenpatriarch sieht er nicht aus. Eher wie ein abgearbeitetes Häuflein Mensch im Blaumann, etwas unsicher wegen des Kamerateams und der vielen Reporterfragen, aber auch er spricht mit uns. C. übersetzt. Ja, F. würde Arbeitertrupps über Varna verleihen und regelmäßig Bulgaren nach Deutschland holen. Aber alles sei korrekt, er würde neun Euro pro Stunde zahlen.
Wir erfahren auch noch, dass Ilian F. zwei Namen hat: den bulgarischen und in türkisch-bulgarischen Kreisen einen anderen. Hier nennt er sich Teoman*, kurz: Teo. Teo: Das muss also der Mann gewesen sein, vor dem unsere erste Informantin solche Angst hatte. Der Facebook-Kontakt zu ihr ist bis heute blockiert.
Neue Recherchen zeichnen ein anderes Bild
Mit den neuen Informationen können wir weiter recherchieren, neue Informanten-Nachfragen starten und unsere Puzzleteile neu ordnen. Dabei erfahren wir:
- F. soll seinen Mitarbeitern mitnichten immer Mindestlohn gezahlt haben. Er sei den Lohn häufig schuldig geblieben. Außerdem sei er zu seinen Arbeitern oft ausgesprochen brutal gewesen. Einer unserer Informanten erzählt von Hinterhalten, in die missliebige Arbeiter gelockt und dann verprügelt wurden..
- Die Staatsanwaltschaft Bremen bestätigt uns, dass gegen Ilian F. ermittelt wird. Es geht um den Strafgesetzbuch-Paragraphen 266a: Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt..
- Uns liegen mehrere Mietverträge von F.s Bremerhavener Unternehmen vor. Die Mieter waren südosteuropäische Arbeiter, das Gebäude ein Haus, das vollkommen überbelegt war. Die Mieten waren für örtliche Verhältnisse horrend – bis zu 560 Euro wurden für eine Schrottimmobilen-Wohnung fällig..
- Die uns vorliegenden Arbeitsverträge von Ilian F.s Bremerhavener Firma sind voller Ungereimtheiten. Vereinbart wurden oft Netto- statt Bruttogehälter, standardmäßig enthielten alle Verträge die Klausel "Im Falle der Freistellung des Arbeitnehmers zur Pflege seines erkrankten Kindes erfolgt keine Entgeltfortzahlung". Das ist ein klassischer Weg, um Leiharbeiter in beschäftigungslosen Zeiten nicht bezahlen zu müssen – es war dann eben das Kind krank..
- Zahlreiche der noch in Bremerhaven lebenden Bulgaren sind seit längerer Zeit nicht mehr bereit, für Ilian F. zu arbeiten. Seinen Bedarf an frischen Mitarbeitern deckt F. offenbar über Mund-zu-Mund-Anwerbung in Varna und eigene, zweiwöchentlich verkehrende Bus-Shuttles nach Bremerhaven. Man erzählt uns, die Busse würden immer noch verkehren..
- Auch buchhalterisch muten manche Dinge seltsam an: In zahlreichen Rechnungen ist vermerkt, dass selbst hohe Beträge von 150.000 Euro für Arbeitnehmerüberlassungen in bar bezahlt wurden. Andere Rechnungen wurden überwiesen. Die Kontoauszüge von F. zeigen, dass er allein von einer Firma aus dem Bremerhavener Umland rund 930.000 Euro erhalten hat – für Personaldiensleistungen innerhalb von fünf Monaten..
Ilian F. ist wieder unerreichbar
Zu alledem können wir Ilian F. nicht weiter befragen, er und seine Firmen sind für uns nun wieder unerreichbar. Keiner unserer Informanten will sich namentlich nennen lassen.
*Name von der Redaktion geändert
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 23. Mai 2017, 19:30 Uhr