Fragen & Antworten
Wer sich vom Tarifabschluss im öffentlichen Dienst mehr kaufen kann
"Kröten schlucken" mussten bei dieser Einigung beide Seiten, sagt der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Hickel. Doch die Kaufkraft steigt – wenn überhaupt – nur für eine Partei.
Ob die Gewerkschaft Verdi, der Bund oder die Kommunen: Fast alle begrüßen den Tarifabschluss für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Dabei haben sowohl die Arbeitgeber- als auch die Arbeitnehmerseite Zugeständnisse machen müssen. Der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel bezeichnet den Abschluss daher als "echten Kompromiss": Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.
Was haben die Arbeitnehmer hauptsächlich erreicht, was Arbeitgeber?
Als Erfolg der Gewerkschaft wertet Hickel, dass die Löhne in den unteren Einkommensgruppen durch den Tarifabschluss ab März 2024 sehr deutlich steigen werden: etwa um beinahe 17 Prozent für Reinigungskräften. Doch auch beispielsweise Pflegefachkräfte oder Erzieherinnen und Erzieher dürfen sich ab März 2024 um Lohnerhöhungen von 12,7 Prozent freuen.
Die unteren Entgelt-Gruppen werden unheimlich gestärkt.
Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel
Der Hauptgrund dafür, dass die Löhne in den niedrigeren Einkommensgruppen so deutlich steigen werden, liegt darin, dass sich bei ihnen der vereinbarte Sockelbetrag besonders deutlich auswirkt: also die Lohnerhöhung um mindestens 340 Euro ab März 2024.
Deutlich niedriger fallen dagegen die relativen Lohnerhöhungen in den oberen Einkommensgruppen aus. So betragen sie beispielsweise für Abteilungsleiter in der kommunalen Verwaltung deutlich weniger als zehn Prozent. "Da hat die Arbeitgeberseite eine Kröte schlucken müssen", sagt Hickel. Denn die Arbeitgeber hätten gern Fachkräfte, wie sie für die oberen Lohngruppen infrage kommen, besser gestellt. Denn um diese Arbeitskräfte zu gewinnen, konkurrierten die Kommunen mit der Privatwirtschaft.
Als "Kröte für die Gewerkschaft" wertet Hickel dagegen, dass dieses Jahr die Tarife gar nicht steigen werden: "Das Tarifsystem ist für ein Jahr eingefroren."
Steigen die Reallöhne, also können sich die Beschäftigten mehr leisten?
Im laufenden Jahr erhalten die Beschäftigten rückwirkend ab Januar 2022 einen Inflationsausgleich in Höhe von 3.000 Euro. Dieses Geld müssen sie nicht versteuern. Gleichzeitig verliert das Geld durch die Inflation allerdings an Wert. So prognostizierte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im März dieses Jahres für das laufende Jahr eine Inflationsrate in Höhe von 6,6 Prozent. Sollte es so kommen, käme es zu keiner Steigerung der Reallöhne, sagt Hickel. Viel mehr würden die Reallöhne zunächst leicht sinken.
Im kommenden Jahre aber dürfte es, zumindest für die niedrigeren Lohngruppen, besser aussehen. Zumal, wenn die Prognose des Sachverständigenrats aufgeht, und die Inflationsrate für 2024 auf drei Prozent sinken sollte. Hickel hält diese Prognose allerdings für "etwas zu optimistisch". Er geht davon aus, dass die Inflationsrate langsamer sinken wird, als vom Expertenrat im März angenommen.
Droht nun eine Preis-Lohn-Spirale, werden also nach dieser Lohnerhöhung jetzt die Preise steigen?
Einige Ökonomen, darunter der BayernLB-Chefvolkswirt Jürgen Michels, fürchten, dass der Tarifabschluss im öffentlichen Dienst eine Preis-Lohn-Spirale nach sich ziehen könnte. Anders gesagt: Sie glauben, dass die Preise infolge der gestiegenen Löhne steigen und so die Inflation weiter befeuern werden.
Der Bremer Ökonom Rudolf Hickel glaubt das allerdings nicht. "Dieser Tarifabschluss wird nicht die viel beschworene Lohn-Preis-Spirale in Bewegung setzen. Denn die unteren Entgeltgruppen werden mit ihrer Nachfrage nicht die Preise treiben, sondern die Auslastung der Wirtschaft im Bereich des privaten Konsums stärken", sagt der Wissenschaftler.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 24. April 2023, 19.30 Uhr