"Krasse Geschichten": Bremens ehrenamtliche Helfer fordern Hilfe
Wer Menschen in Not hilft, hört schlimme Leidensgeschichten. Doch wie werden die Helfer damit fertig? Ehrenamtliche aus Bremer Gemeinden fordern die Hilfe der Stadt.
Speisen und Getränke an arme Menschen zu verteilen, ihnen zuzuhören, wenn sie von ihren Schicksalen erzählen – das ist naturgemäß nicht immer einfach, sagt Astrid Jenett-Brüchmann. Schon seit vielen Jahren engagiert sich die Rentnerin beim Dienstagsfrühstück der Neustädter St. Pauli-Gemeinde. So schwer wie in den letzten Wochen und Monaten sei die ehrenamtliche Tätigkeit in der Essensausgabe aber noch nie gewesen, sagt sie.
Die Not der Menschen nehme zu, die Zahl der Bedürftigen steige – und die Leidensgeschichten, die die Helfer hören, würden immer heftiger.
Wer hier hilft, bekommt extrem krasse Geschichten zu hören. Das nimmt einen richtig mit.
Astrid Jenett-Brüchmann
Gleichzeitig ist der Grundton in der Warteschlange der Bedürftigen deutlich rauer geworden, sagt Jennett-Brüchmann. Insbesondere offensichtlich Crack-Süchtige sorgten mit ihrer Aggressivität immer wieder für große Unruhe, gingen zuweilen auch die Helferinnen und Helfer an. Sie selbst, berichtet Jenett-Brüchmann, sei vor einigen Monaten von einer Cracksüchtigen gekratzt worden und habe eine tiefe Wunde davongetragen.
Wer hilft den Helfern?
Das vielleicht Schlimmste an der Situation aber sei: Die Helferinnen und Helfer fühlten sich zusehends überfordert: "Wir müssen etwas leisten, wofür wir nicht ausgebildet sind", sagt Jenett-Brüchmann. Sie fordert psychologische Unterstützung.
Jenett-Brüchmann denkt dabei an eine Art Supervision, etwa durch professionelle Psychologen. "Es müsste sich jemand alle zwei Monate mit uns zusammensetzten", so ihre Idee. Dabei gehe es nicht nur darum, die ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer bei der Bewältigung unschöner Erlebnisse zu unterstützen. Es gelte auch zu verhindern, dass der eine oder die andere entmutigt abspringt – und in der Konsequenz immer mehr hilfsbedürftige Menschen immer weniger ehrenamtlichen Helfern gegenüber stehen.
Wir brauchen professionelle Rückkopplung, damit wir das, was uns beschäftigt, auch wieder loswerden können.
Astrid Jenett-Brüchmann
Mit dieser Sorge steht Jenett-Brüchmann nicht allein da. So bestätigt Susanne Meyer, Initiatorin des Cafés Mittwoch der Evangelischen Kirchengemeinde Horn, dass die psychische Belastung, der Helferinnen und Helfer ausgesetzt seien, mit den Jahren immer größer geworden sei. "Eine psychologische Begleitung wäre auf jeden Fall sinnvoll", sagt Meyer.
Diakonie entwickelt neues Beratungsformat
Tatsächlich ist der Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege, die Diakonie Bremen, bereits dabei, ein entsprechendes Angebot zu entwickeln. "Es gibt viele rührige Ehrenamtliche in Bremen, die sich um andere Menschen kümmern. Die kommen mit viel Not in Kontakt. Da müssen wir dringend etwas machen", sagt Karin Altenfelder, Vorständin der Diakonie Bremen. Daher entwickele man gerade unter dem Titel "Kollegiale Beratung" ein neues Format für den niedrigschwelligen Austausch unter Helferinnen und Helfern.
"Die Idee ist: Die Helferinnen und Helfer kommen in einer von einer Mediatorin geleiteten Gruppe zusammen – und jedes mal trägt einer einen Fall vor, der dann in der Gruppe besprochen wird", erklärt Altenfelder. Testweise werde die Diakonie zunächst fünf derartige Sitzungen anbieten, um zu gucken, wie es läuft.
Helferin sieht die Stadt in der Pflicht
So begrüßenswert der Vorstoß der Diakonie auch sein mag, fragt sich Astrid Jenett-Brüchmann doch, wieso es die Freie Wohlfahrtspflege und nicht die Stadt Bremen ist, die mit einem derartigen Angebot auf die Ehrenamtlichen zukommt. "Was wir machen, ist eigentlich Aufgabe der Stadt", sagt sie. Umso wichtiger wäre, dass die Stadt als Zeichen der Anerkennung den Ehrenamtlichen Unterstützung anbietet.
Damit spricht Jenett-Brüchmann aus, was viele Helferinnen und Helfer denken, deren Organisationen sich im Sozialstadtplan zu einem großen Netzwerk zusammengeschlossen haben. Das wurde bei einem Treffen des Netzwerks Anfang Dezember deutlich. Zu dem Netzwerk zählen etwa die Johanniter, die Heilsarmee, die Suppenengel, die Wohnungslosen-Stiftung und der Verein für Innere Mission sowie diverse kirchliche Initiativen.
Bernd Schneider, Sprecher des Bremer Sozialressorts, entgegnet auf Anfrage von buten un binnen, dass die Ehrenamtlichen den Wunsch nach einer psychologischen Begleitung bislang nicht an sein Ressort herangetragen hätten. "Wir sind aber offen für Gespräche", fügt er hinzu.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 8. Dezember 2024, 19.30 Uhr