Hauptsache Freunde! Wie Geflüchtete in Bremen Neuankömmlingen helfen

Am heutigen Weltflüchtlingstag sitzen unzählige Flüchtlinge in Lagern fest, auch minderjährige. Einige sollen bald nach Bremen kommen. Es erwartet sie ein herzlicher Empfang.

Schwarzhaariger Mann, um die 20, blickt vor Bremer Roland strahlend in die Kamera
Engagiert sich im Fluchtraum Bremen: Sam Hemat-Kheil aus Afghanistan. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Mindestens zwanzig unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus griechischen Notunterkünften möchte Bremen aufnehmen, noch in diesem Jahr. So hat es die Bremische Bürgerschaft bereits im Februar beschlossen – einstimmig. Dann aber brach die Corona-Pandemie in Europa aus. Gerade einmal 47 Flüchtlinge aus Griechenland sind seitdem nach Deutschland gekommen, nicht einer nach Bremen.

Doch das soll sich jetzt ändern. Das Bremer Innenressort erwartet die ersten zehn unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus Griechenland im Juli, teilt eine Sprecherin mit und fügt hinzu: "Sollte der Bund sich bereit erklären, noch weitere besonders schutzbedürftige Minderjährige aufzunehmen, könnte es dazu kommen, dass auch Bremen weitere übernimmt."

"Der Schulplatz ist die Tür zur Gesellschaft"

Ginge es nach Ali Issa aus Syrien und nach Sam Hemat-Kheil aus Afghanistan, so bekäme jeder dieser Neuankömmlinge mit seiner Ankunft bei uns sofort einen Zettel in die Hand. "Auf dem Zettel soll stehen, wo sie einen Deutschkurs besuchen können", beschreibt Ali die Idee. "Der Schulplatz ist die Tür zur Gesellschaft", fügt Sam hinzu.

Ali und Sam wissen aus persönlicher Erfahrung, worauf es ankommt, um nach der Flucht aus der Heimat in Deutschland Fuß zu fassen. Seit gut vier Jahren leben sie in Bremen. Sie gehören zu jener guten Million Migranten, die im Herbst 2015 und Anfang 2016 nach Deutschland gekommen sind. Der eine, um in Syrien dem Krieg zu entfliehen, der andere, weil er in Afghanistan um sein Leben fürchtete.

Anfangs, berichten die jungen Männer übereinstimmend, sei es ihnen schwer gefallen, sich in Bremen zurechtzufinden. Fast ein Jahr lang mussten sie in provisorischen Flüchtlingsunterkünften leben, teilten sich zeitweise mit 50 anderen Geflüchteten einen einzigen – unbeheizten – Raum zum Schlafen. Die deutsche Bürokratie und die behördlichen Schreiben machten ihnen zu schaffen. Umso mehr, als sie der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Schwierig gestaltete sich auch die Wohnungssuche: "Wenn Du Ausländer bist und vom Jobcenter kommst, dann kriegst Du so schnell keine Wohnung", blickt Ali zurück.

"Es macht mir unheimlich viel Freude, anderen Menschen zu helfen"

Dunkelhaariger, bärtiger Mann, Anfang 20, lächelt in die Kamera
Macht eine Ausbildung zum Kinderpfleger: Ali Issa aus Syrien. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Nach und nach aber fanden sie sich immer besser zurecht, fanden Freunde, kamen in Wohngemeinschaften unter und lernten Deutsch. Heute absolviert Ali eine Ausbildung zum Kinderpfleger. "Es macht mir unheimlich viel Freude, anderen Menschen zu helfen", sagt er dazu. Sam besucht nach erfolgreichem Realschulabschluss das Alte Gymnasium, möchte dort das Abitur machen. Vielleicht werde er eine akademische Laufbahn einschlagen, möglicherweise als Politikwissenschaftler, sagt er. Alternativ kann er sich vorstellen, ähnlich wie Ali in einem sozialen Beruf zu arbeiten.

Ali und Sam kennen sich gut. Beide engagieren sich im Fluchtraum Bremen, einem öffentlich geförderten Verein, der sich für die Belange junger Geflüchteter einsetzt. Hier können sie ihre Erfahrungen aus den vergangenen Jahren einbringen, um jenen auf die Sprünge zu helfen, die heute neu nach Bremen kommen. "Ich übersetzte zum Beispiel Briefe von deutschen Behörden", beschreibt Sam eine seiner typischen Aufgaben im Fluchtraum. Auch hilft er jungen Geflüchteten beim Ausfüllen von Formularen und bei den Hausaufgaben, unterstützt sie, "neue Leute" kennenzulernen.

Wie wichtig der Kontakt zu solchen "neuen Leuten" ist, weiß Sam nur zu gut. Erst dank der Hilfe einer pensionierten Lehrerin, die er an einem Treffpunkt für Geflüchtete der Uni Bremen kennengelernt hat, ist es ihm geglückt, Deutsch zu lernen. Auch Ali ist überzeugt: "Allein in der Schule lernt man Deutsch nicht. Dazu braucht man Menschen, mit denen man die Sprache spricht."

Kontaktbörse Fluchtraum Bremen

Ali und Sam sehen in Freundschaften zur hiesigen Bevölkerung den Schlüssel zur erfolgreichen Integration. Wobei Sam dem Begriff "Integration" nicht viel abgewinnen kann. Er spricht lieber von "Zusammenleben". Auch das Wort "kümmern" gefällt ihm. Es sei zugleich das erste Verb, das ihm zum Fluchtraum Bremen einfalle, sagt er.

Ali geht es genauso. "Der Fluchtraum kümmert sich um alles, was man braucht, wenn man neu in Bremen ist", erklärt er und nennt ein paar Beispiele: Hilfe beim Erlernen der Sprache, bei Arbeiten im Haushalt, bei der Suche nach einem Job oder einer Ausbildung sowie bei der nach einer Wohnung. Manchmal begleite er junge Geflüchtete, die er beim Fluchtraum kennengelernt habe, auch bei Gängen zur Behörde oder helfe ihnen bei Umzügen. Ali rät allen Geflüchteten, die neu in Bremen sind, sich so früh wie möglich beim Fluchtraum zu melden: "Man kann auch dorthin gehen, ohne etwas zu machen, einfach nur, um Anschluss zu finden" sagt er.

Tatsächlich liege genau darin die Idee, erklärt Dagmar Koch-Zadi, Leiterin des Fluchtraums Bremen: "Jeder, der neu hierher kommt, ist erst einmal ein wenig unsicher und dankbar, wenn er ein bisschen Unterstützung im Alltag bekommt." Aus diesem Grund engagieren sich im Fluchtraum gut 260 ehrenamtliche Helfer. Sie bringen sich insbesondere als Mentoren junger Geflüchteter ein.

"Ehrenamtliche öffnen die Türen zum Leben in dieser Stadt"

Koch-Zadi hofft, noch weitere Mentoren hinzugewinnen zu können. "Jugendliche, die einen Mentor haben, kommen erfahrungsgemäß schneller und besser bei uns an, weil sie dann mehr kennenlernen und Hilfe bekommen." Da ein ehrenamtlicher Mentor zudem kein Amt vertrete, falle es vielen jungen Menschen leichter, Vertrauen zu ihm aufzubauen als etwa zu seinem durch die Jugendhilfe bestellten amtlichen Vormund.

Koch-Zadi hat sich ihrerseits lange als Mentorin im Fluchtraum eingebracht. Dabei hat sie beispielsweise mit den Jugendlichen gekocht und mit ihnen anschließend die Rezepte aufgeschrieben: "Weil es Spaß gemacht hat und sie auf diese Weise ein bisschen Deutsch üben konnten", sagt sie. Ein ganzes Kochbuch sei so entstanden. Andere Mentoren gingen mit den Jugendlichen auch zum Basketball oder ins Theater, sagt Koch-Zadi. Dann jedenfalls, wenn gerade keine Pandemie das öffentliche Leben lahmlege. "Ehrenamtliche öffnen die Türen zum Leben in dieser Stadt", stellt sie fest.

Nachsicht gefragt

Das können Ali Issa und Sam Hemat-Kheil nach gut vier Jahren in Bremen nur bestätigen. Umso mehr, als auch sie längst zu denjenigen in Bremen zählen, die anderen Türen öffnen. So gut sie aber auch bei uns angekommen sind, üben sie doch auch Kritik: Etwas nachsichtiger, sagen sie, könne der eine oder andere Bremer mit jungen Geflüchteten sein. Wer ohne seine Familie als Jugendlicher aus Syrien, Afghanistan oder einem anderen Kriegsgebiet nach Europa komme, der habe ein Recht auf Hilfe. Hilfsbereitschaft aber hätten sie in den ersten Jahren nach ihrer Ankunft in Bremen seitens der Ämter mitunter schmerzlich vermisst.

Jetzt hoffen sie, dass der Zwei-Städte-Staat seit der Flüchtlingskrise von 2015 dazugelernt hat. "Bremen wird das jetzt bestimmt besser machen, wenn wieder Flüchtlinge kommen", zeigt sich Ali zuversichtlich. Wie Sam, so wird auch er sein Bestes geben, um die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aus griechischen Notunterkünften bei uns willkommen zu heißen.

Autor

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Tag, 22. Juni 2020, 23:30 Uhr

Archivinhalt