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Stress, Frust, Ausstieg: Fachkräftemangel in der Geburtshilfe

Eine Hebamme misst mit einem CTG die Herztöne eines Ungeborenen.
Auch in der Geburtshilfe ist die Lage wegen des Fachkräftemangels angespannt. (Symbolbild) Bild: dpa | Jan Woitas

Der Fachkräftemangel macht auch vor den Kreißsälen nicht halt. Bremer Hebammen erzählen, was die Personalknappheit für ihren Alltag bedeutet.

Immer wieder macht der Fachkräftemangel in der Pflege Schlagzeilen. Meistens geht es dabei um die Pflege älterer Menschen. Doch nicht nur am Ende, sondern auch zu Beginn des Lebens macht sich der Personalmangel bemerkbar. Und zwar bereits im Kreißsaal.

Hebammen fehlen, und das seit Jahren. Das bestätigen Verbände und Vereine, das zeigen nahezu konstante Zahlen offener Stellen, das spüren die Mitarbeitenden an eigener Haut. Auch in den Kliniken des Bundeslandes Bremen. Dies zumindest zeigt eine Recherche über die Lage in der Geburtshilfe, nach Gesprächen mit Betroffenen, Arbeitnehmerkammer und Berufsverbänden.

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Wenn Svenja* abends nach der Schicht im Krankenhaus nach Hause kommt, hat sie nicht selten Kopfschmerzen. Sie ist müde, aber es ist keine normale Müdigkeit nach einem intensiven Arbeitstag. Es ist die Überlastung, aber auch der Frust, der an ihr nagt. Das Gefühl, dass sie gegen Windmühlen kämpft. Dass sie den Patientinnen nicht gerecht wird, dass die Zeit, die sie zur Verfügung hat, um sich um die Gebärenden und frisch gebackenen Mütter zu kümmern, nie ausreicht. "Man schafft es nicht, ausreichend die Frauen zu betreuen", sagt sie. "Man kommt vom Dienst nach Hause einfach nur erschöpft und kann nicht mehr."

Man gibt die ganze Zeit gefühlt 150 Prozent, schafft aber gar nicht alles.

Hebamme Svenja

Svenja, die nicht mit ihrem echten Namen genannt werden will, ist an einer Bremer Klinik in der Geburtshilfe angestellt. Der Fachkräftemangel führe dazu, dass ihre Schichten teilweise hektisch werden. Etwa, wenn Kolleginnen plötzlich krank sind oder Notfälle ankommen. Dann könnten Pausen nicht eingehalten werden, selbst auf Toilette zu gehen sei problematisch. "Ich glaube, ich kann an einer Hand abzählen, wie oft ich eine ganze halbe Stunde Pause im letzten Jahr geschafft habe, ohne ans Telefon zu gehen und so weiter", sagt sie.

An Tagen, an denen ich frei habe, schlafe ich nur, weil ich einfach kaputt und erschöpft bin.

Hebamme Svenja

Ihre Unzufriedenheit wurzelt ebenso darin, dass sie manchmal im Kreißsaal mehr als eine Frau betreuen muss, das heißt, zeitweise von einer zu der anderen rennen zu müssen. Oder dass sie sich nicht immer die Zeit nehmen kann, die sie gern hätte, um jungen Müttern etwa das Stillen zu erklären. Mit der Hektik steige auch das Risiko von Fehlern und so der Druck.

Arbeitnehmerkammer: Unzufriedenheit führt zum Ausstieg

Berichte von Verbänden und Gespräche in der Branche bestätigen, dass Svenjas Erfahrung kein Ausnahmefall ist. Laut dem Bremer Hebammenverband vergingen viele Dienste ohne Pause oder Toilettengänge, häufig müsse aus der Freizeit heraus eingesprungen werden und die Arbeit verlange Hebammen "körperlich und mental massive Anstrengungen ab". Auch die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung angestrebte 1:1-Betreuung der Gebärenden komme aktuell nur selten vor.

Kai Huter von der Bremer Arbeitnehmerkammer bestätigt: "Davon sind wir im Moment weit weg, viele Hebammen müssen häufig mehrere Geburten zeitgleich betreuen. Dies führt dazu, dass ein großer Teil der Hebammen mit den Arbeitsbedingungen in den Kreißsälen unzufrieden ist, aus dem Beruf aussteigt oder über den Ausstieg nachdenkt." Das verschlimmert den Fachkräftemangel dann noch. Ein Teufelskreis.

Verlegungen als Folge der Personalknappheit

Auch für die Patientinnen hat der Fachkräftemangel Folgen. Etwa, wenn sie in ein anderes Krankenhaus verlegt werden müssen, weil die Kapazitäten nicht ausreichen, um sie vernünftig zu betreuen. Das stoße auf Unverständnis seitens der Frauen, sagt Svenja. "Für die Mütter ist diese Situation belastend und verunsichernd", fügt die Hebammenverband-Vorsitzende Christina Altmann hinzu. Wobei beide betonen, dass eine Verlegung nur vorkommt, wenn dies auch sicher sei. Studien belegen zudem, dass eine eins-zu-eins-Betreuung zu weniger Ängsten und Schmerzen bei den Gebärenden führt. Dies könnte die Schmerzmittelvergabe reduzieren.

Für die Kliniken hat der Fachkräftemangel im Kreißsaal ebenfalls Auswirkungen. Der größte Bremer Betreiber, Gesnundheit Nord (Geno), sagt auf Nachfrage, der zunehmende Fachkräftemangel sei für alle Krankenhäuser in Deutschland eine große Herausforderung. Das führe zu Anmeldestopps. "Wir versuchen, dies möglichst frühzeitig an die schwangeren Frauen zu kommunizieren: Wenn die Zahl der Anmeldungen für einen bestimmten Zeitraum zu hoch wird, wir also schon absehen können, dass wir 'ausgebucht' sind, nehmen wir keine weiteren Anmeldungen mehr an", sagt Sprecherin Karen Matiszick. Derzeit seien beispielsweise Anmeldungen im Klinikum Bremen-Mitte erst ab November 2023 wieder möglich. Notfälle würden aber immer betreut.

Insbesondere Pflegekräfte sowie Hebammen werden überall dringend gesucht. Diese Situation macht natürlich auch vor den Geburtskliniken der Gesundheit Nord nicht Halt.

Karen Matiszick, Geno-Sprecherin

Enge Kapazitäten können auch zu Verlegungen in andere Krankenhäuser führen. Zur Betreuungsquote sagt Matiszick: "Grundsätzlich betreuen wir entbindende Frauen in einem Verhältnis von 1:1. Geburten lassen sich natürlich nur begrenzt planen. Sollte ein Notfall dazwischenkommen, müssen wir natürlich darauf reagieren."

Lage bereits seit Jahren angespannt

Die Lage ist keineswegs neu. "Die Personalsituation der Hebammen in den Bremer Kliniken ist seit Jahren sehr angespannt", sagt Huter. Das hat mehrere Ursachen: Zum einen habe man in der Vergangenheit zu wenig ausgebildet, zum anderen sei das Durchschnittsalter bei den Hebammen hoch. Das heißt, dass viele bald in Rente gehen werden oder gerade gegangen sind.

Der Politik ist die Situation bekannt. 2020 hat das Land Bremen einen Hebammenstudiengang eingeführt. Pro Jahrgang werden 40 Studierende ausgebildet, wie das Gesundheitsressort bestätigt. Die ersten Absolventen werden erst 2024 erwartet. Die Hebammen selbst schlagen mehrere Lösungen vor, um die Attraktivität des Berufs zu steigern. Etwa höhere Gehälter, weniger Arbeitsbelastung, Betriebskitas mit verlängerten Öffnungszeiten, flexiblere Schichtmodellen für Mitarbeitende, die im Umland leben.

Für den Hebammenverband sei ebenfalls das Fallpauschalenprinzip problematisch. Denn Geburtshilfe sei dadurch "nur schwer wirtschaftlich zu betreiben. Sie wird quasi immer quersubventioniert durch andere Abteilungen", sagt Altmann. Das sieht das Bremer Gesundheitsressort ähnlich. "Das Fallpauschalenprinzip in der Geburtshilfe wird von der Senatorin für Gesundheit ebenfalls kritisch bewertet", schreibt Sprecherin Kristin Viezens. Forderungen wie Tarif- und Dienstplanänderungen seien hingegen von Mitarbeitern und Betreibern zu beraten.

Die Geno verweist ihrerseits auf individuelle Arbeitszeitmodelle, Kinderbetreuung und weitere Angebote, die den Mitarbeitern zur Verfügung stünden, sowie auf den neuen Studiengang, der den Beruf aufwerten soll.

Wir gehen davon aus, dass die akademische Ausbildung dazu führt, dass der Beruf der Hebamme damit für junge Frauen wieder interessanter wird, so dass dem Fachkräftemangel damit entgegengewirkt werden kann. Noch ist es aber zu früh, um eine solche Entwicklung sicher belegen zu können.

Karen Matiszick, Geno-Sprecherin

Auch die Rekrutierung von Fachkräften aus dem Ausland soll helfen. Eines scheint jedoch klar: Eine schnelle Lösung für die Fachkräfteknappheit wird es wahrscheinlich nicht geben. Für Svenja und andere Hebammen wären aber schon mal kleine Schritte hilfreich.

So helfen Babylotsinnen in Bremen frischgebackenen Eltern

Bild: Radio Bremen

* Name von der Redaktion geändert.

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Autorin

  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. September 2023, 19:30 Uhr