Interview
"Bremens rot-grün-rotes Bündnis ist kein Modell für den Bund"
Das Corona-Management sei gut. Aber es gebe Zoff in der Koalition. Politikwissenschaftler Lothar Probst zieht eine durchwachsene Halbzeitbilanz zur Arbeit des Senats.
Eine klassische Zwischenbilanz zur Arbeit des Senats, wie sonst zur Hälfte einer Legislatur üblich, verbiete sich, findet Lothar Probst. Wegen es dauerhaften Ausnahmezustands seit Ausbruch der Corona-Pandemie könne man nicht einfach den Koalitionsvertrag nehmen und stur gucken, was davon erledigt sei, was nicht, sagt der Politikwissenschaftler der Uni Bremen – und formuliert doch viel Lob und viel Kritik am Bremer Senat.
Worin sehen Sie die größten Leistungen des rot-grün-roten Senats?
Das Management der Pandemie hat fast alle anderen Themen aus dem Koalitionsvertrag überlagert und die meisten Kräfte gebunden. Meiner Meinung nach ist das Management dem Senat alles in allem ganz gut gelungen. Dabei denke ich etwa an die Impfkampagne und den schnellen Aufbau des Impfzentrums mit tatkräftiger Unterstützung Bremer Unternehmer.
Aber auch die Art, wie der Senat die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in die Öffentlichkeit kommuniziert hat, fand ich gut. Dabei hat sich insbesondere Andreas Bovenschulte, der Senatspräsident, profilieren können. Er und die anderen Ministerpräsidenten standen ja dank der vielen Konferenzen mit der Kanzlerin oft im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Natürlich hat es auch in Bremen Pannen gegeben. Aber wenn ich dem Management der Pandemie insgesamt eine Note geben sollte, dann würde ich sagen: Dafür verdient der Senat eine Zwei.
Wofür würden Sie dem Senat schlechtere Noten geben? Was hat Bremens Landesregierung bisher versäumt?
Da muss man differenzieren. Die Grünen zum Beispiel haben vor zwei Jahren verkündet, dass sie das Herz dieser Koalition sein wollen. Zeitweilig hatte man aber den Eindruck, dass die Grünen eher in der zweiten Reihe stehen. Sie schneiden nach meinem Eindruck bisher nicht so gut ab in dieser Koalition.
Woran liegt das?
Das lag unter anderem daran, dass Andreas Bovenschulte oft im Fokus stand. Auch die beiden Ressorts, die von den Linken besetzt sind, Wirtschaft und Gesundheit, standen ständig im Blickpunkt durch die Pandemie-Bekämpfung. Dadurch sind die Grünen ein bisschen ins Hintertreffen geraten.
Liegt das wirklich alles nur an der Konstellation im Bündnis? Oder haben die Grünen auch Fehler gemacht?
Ja, aber nicht die Grünen alleine. In einer Koalition trägt jede Partei Mitverantwortung für Versäumnisse und Fehler. Es gibt im Koalitionsvertrag zum Beispiel den Beschluss, dass für jede Entscheidung des Senats die Klimaneutralität geprüft werden soll. Ich habe nicht den Eindruck, dass das tatsächlich geschehen ist. Auch bei der Innenstadtentwicklung hat sich wenig getan. Da gab es immer wieder neue Anläufe, ob beim Domshof oder beim Sparkassen-Areal. Es bleibt der Eindruck: Bremen ist da nicht richtig vorangekommen. Auch bei den ambitionierten Zielen mit den Fahrrad-Premium-Routen und bei den Fahrradbrücken sehe ich keine großen Fortschritte.
Was ist noch schief gelaufen in den ersten beiden Jahren Rot-Grün-Rot?
Für die innere Sicherheit gibt es eine Übereinkunft im Koalitionsvertrag dahingehend, dass man die Polizei verstärken möchte. 2.900 Polizeibeamte war die Zielzahl. Wir sind jetzt ungefähr bei 2.700. Es zeichnet sich für mich nicht ab, dass man sich der Zielzahl nähert. Beim Ordnungsdienst sieht es ähnlich aus. Natürlich kann man sagen: Die Legislatur ist noch nicht um. Bremen hat noch Zeit, um die Zielzahlen bei Polizei und Ordnungsdienst zu erreichen. Aber das wird schwer, glaube ich.
Haben Sie den Eindruck, dass SPD, Grüne und Linke gut harmonieren?
Bei der Gewerbeflächen-Politik gibt es Zoff in der Koalition. Atmosphärisch, so mein Eindruck, kommen SPD und Linke besser miteinander klar als beide mit den Grünen. Die Grünen sind häufig in der Rolle des Spielverderbers, so auch bei der Gewerbeflächen-Politik.
Gibt es eine Entwicklung in der Koalition, die Sie besonders überraschend finden?
Erstaunlich finde ich, mit welcher Kontinuität Frau Vogt als Linke die Politik ihrer Vorgänger im Wirtschaftsressort fortführt. Das ist nicht nur Pragmatismus. Das ist Hyper-Pragmatismus. Ich habe fast den Eindruck, dass Frau Vogt beweisen will: Linke können auch Wirtschaftspolitik. Das erinnert mich ein bisschen an die ehemalige Finanzsenatorin Karoline Linnert, die beweisen wollte, dass Grüne auch Finanzpolitik können, was ihr dann ja auch gelungen ist.
Frau Vogt macht eine wirtschaftsfreundliche Politik, engagiert sich aber auch für die Kulturszene. Damit macht sie eine gute Figur in dieser Koalition. Erstaunlich ist für mich, dass ihre Partei ihren wirtschaftsfreundlichen Kurs offenbar bedingungslos mitträgt.
Einer kürzlich veröffentlichten Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung zufolge steht der Bremer Senat bei der Bevölkerung derzeit insgesamt gut da. Was müssen SPD, Grüne und Linke tun, um dieses Stimmungsbild bis zur nächsten Bürgerschaftswahl zu erhalten?
Es geht jetzt natürlich darum, die Kernaufgaben, die man sich vor Corona vorgenommen hat, in Angriff zu nehmen. Gerade in der Bildungspolitik. Daran wird ein Bremer Senat immer gemessen werden. Wir haben hier mit Sascha Aulepp nun eine neue Senatorin. Die muss sich schnell beweisen in diesem Amt.
Es gibt unter anderem nach wie vor große Probleme beim Kita-Ausbau. Man versucht zwar, Alleinerziehende und Kinder aus sozial schwächeren Familien zu priorisieren. Trotzdem fehlen immer noch Hunderte Kita-Plätze. Da sagt das Ressort zwar immer: 'Wir sind auf einem guten Weg.' Tatsächlich aber hat man nicht die versprochenen Zahlen nicht geliefert. Auch bei der Sanierung der Schulen gibt es noch viel Nachholbedarf.
Welche Themen sind nun außerdem besonders wichtig?
Ein Punkt, der richtig Bauchschmerzen bereitet, ist die Gesundheitspolitik mit Hinblick auf den Klinikverbund Geno. Die Geno entpuppt sich immer mehr als Fass ohne Boden. Da muss der Senat in den nächsten zwei Jahren klar und transparent zeigen, wie er das in den Griff kriegen will.
Außerdem: Die Klimapolitik. Bremen muss beweisen, dass aus dem Plan, aus der Kohleverstromung auszusteigen, Realität wird. Das sehe ich noch nicht. Die Fernwärmeleitung durch Schwachhausen zum Kohlekraftwerk Hastedt, um das abzuschalten, ist noch immer im Planfeststellungverfahren. Da bleibt die Koalition wahrscheinlich hinter ihren Zielen zurück.
Außerdem wird es nach der Pandemie natürlich darum gehen, dass Bremen wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt. Das wird noch sehr schwer. Der Bremer Arbeitsmarkt hinkt dem anderer Bundesländer, die wieder einen Aufwind spüren, hinterher.
Die Bundestagswahl steht am 26. September an. Eignet sich Bremens rot-grün-rotes Bündnis als Modell für den Bund?
Nein. Wir haben in den Bundesländern eine ganz andere Situation als im Bund. Es gibt drei rot-grün-rote Bündnisse: in Thüringen, in Berlin und in Bremen. Das sind alles keine Modellprojekte. Die Linke im Bund tickt ganz anders. Der Parteitag der Linken hat Beschlüsse zur Außen- und zur Sicherheitspolitik getroffen, unter anderem zur Nato-Mitgliedschaft und zur Russland-Politik, die für die Grünen noch weniger akzeptabel sind als für die SPD.
Davon abgesehen glaube ich gar nicht, dass SPD, Grüne und Linke überhaupt auf genügend Stimmen für eine linke Koalition kämen. Ich halte Spekulationen über ein rot-grün-rotes Bündnis im Bund daher für eine Luftnummer.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 14. Juli 2021, 19:30 Uhr