Fragen & Antworten
Darum warten Bremer Pflegebedürftige Monate auf Pflegekosten-Beihilfe
Bei der städtischen Firma Performa Nord stapeln sich die Anträge. Aktuell sind die Sachbearbeiter mehrere Monat in Verzug. Das hat für die Betroffenen Folgen.
103 Tage. So lange hat die Bearbeitung von Bärbel Rädischs Antrag auf Beihilfe für ihren Mann gedauert, den sie im Februar dieses Jahres gestellt hat, wie die 80-Jährige erzählt. Mehr als drei Monate, in denen Rädisch auf das Geld warten musste, das ihrer Familie zusteht. In dieser Zeit habe sie das Geld für die Pflege ihres Mannes, einem ehemaligen Polizisten, vorgestreckt. Etwa 750 Euro im Monat. Noch wartet sie auf die Rückerstattungen vom März – und den Monaten danach.
Ihr Ehemann lebt mit Pflegestufe 3 in einem Heim im niedersächsischen Umland. Für die Unterbringung sind monatlich mehr als 3.000 Euro fällig, die Pension des ehemaligen Beamten liegt knapp darunter. Sie selbst muss mit einer Rente von etwa 630 Euro auskommen. "Ich war schon ziemlich verzweifelt, lag nachts in Bett wach und mir gingen die Gedanken durch den Kopf", sagt Rädisch.
Anträge bei der Performa Nord stapeln sich
Auf den Schreibtischen der Performa Nord, des städtischen Unternehmens, das sich um die Bearbeitung der Anträge kümmert, stapeln sich hingegen gerade die Akten von Männern und Frauen wie Rädisch, die auf ihr Geld warten. Mehrere Tausend Seiten. Selbst auf der Webseite wird darauf hingewiesen, dass die Bearbeitungszeit bei der Beihilfe circa zwölf Wochen beträgt. Wir haben die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema zusammengefasst.
Was ist Beihilfe?
Die Beihilfe ist Teil des Krankenversicherungssystems für Beamte und Richter. Auch ehemaligen Beamten in Rente sowie – bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze – deren Angehörigen wird sie gewährt. Der Staat verpflichtet sich durch die Beihilfe, einen Teil der Kosten für ärztliche Behandlung, Geburt und Pflege zu übernehmen. Die Beihilfe ist in den Ländern unterschiedlich geregelt. In Bremen übernimmt die Anträge-Bearbeitung und Kostenerstattung die städtische Firma Performa Nord.
Wer als Beamter privatversichert ist und Anspruch auf Beihilfe hat, muss also medizinische Rechnungen selbst begleichen und die entsprechenden Belege und Formulare bei der Krankenkasse sowie bei der Performa Nord einreichen. Diese erstatten dann die Kosten jeweils anteilig.
Was ist passiert?
Bei der Performa Nord kommt es seit einiger Zeit bei der Bearbeitung von Beihilfe-Anträgen zu Wartezeiten von mehreren Monaten, wie das zuständige Finanzressort bestätigt. Die Pflege-Abteilung befasst sich gerade mit den Formularen von Mitte Februar, in der Beihilfe bearbeitet man noch die Fälle von Mitte April. Etwas schneller soll es demnach bei der Rückerstattung von Kosten ab 1.500 beziehungsweise 3.000 Euro je nach Gehaltsgruppe gehen, ab 10.000 Euro sollte die Bearbeitung maximal zehn Tage dauern.
Manche Betroffene beklagen, dass sie bei hohen Kosten lange in Vorkasse gehen müssen, was für sie Sorgen und Nachteile zur Folge hat. Auch sei die Auskunft seitens des Unternehmens nicht zufriedenstellend.
Warum kommt es derzeit zu Verzögerungen?
Die Behörde sagt, die Coronapandemie habe dazu geführt, dass die Zahl der Anträge seit 2022 zugenommen habe, parallel dazu seien Mitarbeiter unerwartet ausgefallen oder krank geworden, auch langfristig. Dazu habe es Mitarbeiterwechsel in mehreren Teamleitungen gegeben. Die Verzögerungen und Änderungen bei der Beihilferegelung hätten wiederum zu mehr Nachfragen und Beschwerden geführt, die noch mehr Zeit und Ressourcen gebunden hätten.
In den letzten Monaten sind einige Dinge zusammengekommen, die dazu geführt haben, dass die Bearbeitungszeiten jetzt zu lang sind.
Ramona Schlee, Sprecherin des Finanzsenators
In der Beihilfe- und Pflege-Abteilung gibt es zurzeit insgesamt 24 Vollzeitstellen, die Bearbeitungsrückstände lagen im Mai in der Beihilfe bei 5.200 Anträgen, in der Pflege bei 1.900. Zwischen 4.000 und 6.500 Anträge gingen im Schnitt jeden Monat ein, so die Behörde.
Wie sehen das die Interessenvertretungen?
Kritischer sieht es Sven Stritzel, Landesvorstandsmitglied des Bremer Beamtenbundes (DBB). Das Problem ist nach seiner Auffassung grundlegender und besteht schon seit längerer Zeit. Es gebe zu wenig Personal, um die Beihilfe-Anträge innerhalb einer angemessenen Frist zu bearbeiten. Problematisch sei ebenso, dass die Verordnung keine genaue Frist vorgebe. Außerdem sei die Digitalisierung noch mangelhaft. Alles müsse noch "old-school" per Post hingeschickt werden.
Es ist nicht so wie bei diversen Krankenversicherungen möglich, alles abzufotografieren und per App einzuscannen.
Sven Stritzel, Bremer DBB
Das Finanzressort sieht ein, dass neue digitale Wege sowohl Antragstellende als auch Mitarbeitende entlasten könnten, widerspricht jedoch, dass es in der Beihilfe-Abteilung einen grundsätzlichen Personalmangel gebe.
Die derzeitigen langen Bearbeitungszeiten gehen auf eine hohe Anzahl von unvorhersehbaren und krankheitsbedingten Personalausfällen zurück. Von einem grundsätzlichen Personalmangel kann also keine Rede sein.
Ramona Schlee, Sprecherin des Finanzsenators
Welche Folgen hat die Situation für Betroffene?
Rädisch sagt, sie lebe inzwischen sehr sparsam, kaufe nur das Notwendigste und esse weniger Fleisch, um die Lebenskosten im Zaum zu halten. Das mit dem Fleisch sei vielleicht nicht verkehrt, sagt sie mit einem Schmunzeln. Alles andere macht sie wütend, ziemlich wütend. Nie im Leben hätte sie gedacht, irgendwann in so einer Lage zu sein. "Ich komme nicht als Bittstellerin dahin, sondern das ist etwas, das einem zusteht. Da müsste man nicht Monate und Monate und Monate hinterherlaufen."
Ich muss jeden Monat ans Ersparte gehen, was wir zum Glück haben. Sonst käme ich nicht über die Runde.
Bärbel Rädisch, Betroffene
Eine weitere Betroffene, die anonym bleiben möchte, erzählt, sie habe eine chronische Lungenerkrankung und Arztkosten jeden Monat in Höhe von mehreren Hundert Euro. Als Alleinstehende, die wegen ihrer Krankheit frühzeitig in Rente gehen musste und daher keine vollen Bezüge erhält, könne sie sich die Summen nicht immer leisten. Daher verzichte sie manchmal auf medizinische Untersuchungen.
Was sagen die Betreiber?
Ziel des Unternehmens sei, jeden Antrag in maximal vier Wochen zu bearbeiten, sagt das Finanzressort.
Die Performa Nord ist nicht zufrieden mit dem Zustand.
Ramona Schlee, Sprecherin des Finanzsenators
Man habe die Arbeitsabläufe analysiert und versuche, diese zu beschleunigen. Die zuständigen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Performa Nord hätten bereits im vergangenen Jahr zwischen Juni und Dezember freiwillig samstags gearbeitet. Im Bereich Pflege habe man sich bereit erklärt, im Juli und August auf Urlaub zu verzichten.
Stehen gerade weitere Lösungen im Raum?
Vor wenigen Tagen hat die Performa-Nord eine Hotline für Fragen rund um die Beihilfe errichtet. Auch die Finanzbehörde hat inzwischen sechs neue Stellen genehmigt. Drei sind bereits besetzt, allerdings beträgt die Einarbeitungszeit bis zu sechs Monate. Es wird also noch etwas dauern, bis alle neuen Fachkräfte vollkommen einsatzbereit sind.
Man strebe an, dass sich die Wartezeiten im Herbst auf vier Wochen verkürzt, so die Finanzressort-Sprecherin Schlee. Damit das Personal in der Bearbeitungsstelle sich ausschließlich auf die Anträge-Bearbeitung konzentrieren kann, ist eine separate Beschwerdestelle gerade gegründet worden. Man arbeite außerdem an einer digitalen Lösung, um die Anträge übers Internet und per App einzusenden, erläutert die Ressortsprecherin. Damit wird aber erst ab 2025 gerechnet.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 15. Juni 2023, 19:30 Uhr