Interview

Mehr Geld, mehr Leben: Darum arbeitet dieser Pfleger als Leiharbeiter

Ein Pfleger begleitet einen Patienten durch ein Krankenhaus.

Leiharbeit in der Pflege in Bremen

Bild: dpa | Bernd Weißbrod

Drei Jahre arbeitete Michael Nowak in einer Bremer Klinik. Dann ging er zu einer Zeitarbeitsfirma, verdient seitdem mehr Geld, arbeitet weniger – und will nie wieder zurück.

Michael Nowak* ist seit acht Jahren Pflegefachkraft. Der 32-Jährige hat drei Jahre beim Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno) in Bremen gearbeitet, jetzt ist er in Niedersachsen. Mehr als die Hälfte seines Berufslebens ist Nowak nicht mehr in einem Krankenhaus angestellt, sondern bei einer Zeitarbeitsfirma. Er arbeitet flexibel, immer da, wo man gerade eine Pflegekraft dringend braucht.

Der große Mangel an Fachpersonal wirkt sich paradox aus: Viele Branchen wollen eigentlich Geld sparen, indem sie Leiharbeiter einstellen. In der Pflege ist das unmöglich, die Kliniken zahlen drauf. 30 Prozent teurer ist eine Pflegefachkraft von einer Zeitarbeitsfirma für die Geno, wie der Klinikverbund buten un binnen mitteilte.

Ohne Zeitarbeiter kommen die Kliniken nicht aus, aber die hohen Kosten setzen ihnen zu. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will Leiharbeit in der Pflege deshalb einschränken. Michael Nowak sagt jedoch: Wenn die Leiharbeit eingeschränkt wird, gibt es einen Pflege-Exodus.

Herr Nowak, weshalb haben Sie die Klinik verlassen und bei einer Zeitarbeitsfirma angefangen?

Ich wollte mehr Geld verdienen. In der neurologischen Frühreha ist die Arbeit physisch sehr anspruchsvoll. Man hat zum Beispiel Patienten, die gerade erst einen Schlaganfall hatten. Das ist von der Intensität der physischen Arbeit doch extrem. Man muss die Leute stündlich umbetten, die meisten sind desorientiert und medizinisch aufwendig. Da dachte ich mir, dass ich dieselbe Arbeit für mehr Geld machen kann und bin mit diesem Gedanken in die Zeitarbeit gegangen: Mehr Geld war am Wichtigsten. Außerdem Flexibilität, meine Dienstpläne selbst einzuteilen und mehr Freizeit.

Haben Sie bekommen, was Sie wollten?

Ja. Ich bin mit einer reduzierten Stelle, mit 80 Prozent angefangen und habe immer noch mehr Geld verdient, als ich als Vollkraft in der Festanstellung verdient habe. Ich habe gar nicht erwartet, dass ich weniger arbeiten kann.

Denn wissen Sie, das System der Pflege in Deutschland, zumindest, wie ich es erlebt habe, ist bereits komplett dysfunktional.

Michael Nowak, Pflegefachkraft bei einer Zeitarbeitsfirma

Es kann eigentlich mit der derzeitigen Belegung gar nicht mehr laufen. Es läuft aber deswegen, weil, es gerade in der älteren Belegschaft, eine große Treue gegenüber dem Unternehmen gibt und eine Loyalität gegenüber den Kollegen. Und dann springt man halt sechs Dienste in Folge ein, damit das hier nicht den Bach runtergeht. Das Helfersyndrom, das natürlich bei jeder Pflegekraft vorhanden ist, das hält dieses dysfunktionale System zusammen.

Zeitarbeiter schreiben – schreiben Sie – ihren Dienstplan selbst?

Es gibt Pflegekräfte, die das machen. Dann sind sie aber auch jeden Tag woanders. Wenn ich meinen Dienstplan selbst schreiben würde, nur mit meinen Wunschdiensten, dann müsste ich mich dem auch beugen und immer wieder woanders arbeiten. Denn das kann keine Station gewährleisten.

Aber ich habe in meiner Festanstellung gemerkt, als ich einmal 15 Tage am Stück gearbeitet habe, und am Ende meines Monats meinen Lohn gesehen habe: Dafür habe ich – wortwörtlich – in dem Monat kein Leben gehabt.

Mir ist es deshalb wichtig, dass ich an bestimmten Tagen, Geburtstagen zum Beispiel, sicher frei habe. Ich habe nur ein oder zwei Wünsche im Monat. Deshalb bin ich auch lange auf derselben Station, über die volle Laufzeit von 18 Monaten – dann muss man wechseln. Wäre ich bei der Geno, müsste ich nach 18 Monaten in eine Klinik, die nicht zur Geno gehört, für drei Monate. Aber ich bin immer lange auf den Stationen.

Sind Sie mit Ihrem Wechselwunsch einfach zu einer Zeitarbeitsfirma hingegangen?

Ja, genau. Zurückblickend würde ich es anders machen, denn die meisten Zeitarbeitsfirmen bieten irgendeine Bomben-Prämie dafür, dass man jemanden wirbt. Ich hätte einfach jemanden fragen sollen von den Zeitarbeitern – und hätte mir mit dem die Prämie dann geteilt. Aber ich bin einfach hingegangen und habe gesagt: 'Ich würde hier gerne arbeiten.' Und ich habe auch gleich das erste Angebot angenommen, weil es so viel besser war, als das in der Festanstellung.

Was für Prämien gibt es denn bei einem Wechsel?

Das verändert sich. Ich habe vor ein paar Jahren von 2.000 Euro gehört. Auch einmal von 5.000 Euro – das schnappt man mal so auf, ob das wirklich stimmt, weiß ich nicht. Aber es würde mich nicht wundern, wenn es so wäre. Andere Anbieter zahlen keine Werbeprämie, aber für jede Stunde, die die neu angeworbene Kraft arbeitet, erhält der Werber einen oder 1,50 Euro mehr Stundenlohn. Es gibt auch Firmenwagen, wer mindestens 80 Prozent arbeitet hat bei vielen Zeitarbeitsfirmen Anspruch auf einen Wagen. Jedes Unternehmen versucht, möglichst viel Personal anzuziehen.

Der Anteil an Zeitarbeitern in der Pflege wirkt gar nicht so hoch – bis zu fünf Prozent heißt es laut Statistiken. Was hindert Pflegekräfte, es Ihnen nachzumachen?

Die Angst vor dem hohen Maß an Flexibilität, das einem abverlangt werden könnte: Dass man jeden Tag woanders arbeiten muss. Und auch der Wunsch nach einem festen Team, dass man irgendwo hingehört, Routine zu haben.

Gibt es Neid bei der Stammbelegschaft?

Wenn man kollegial ist, im Rahmen dessen, was man da leisten muss, dann kommt man da auch gut an. Da habe ich keine Probleme gehabt. Natürlich kommen auch so Sprüche: 'Wieso kriegt Ihr so viel mehr Geld als wir, das ist doch voll unfair!' Aber ich denke dann immer, eine Zeitarbeitsfirma ist ja kein exklusiver Verein: 'Dann mach halt mit.'

Haben Sie manchmal ein schlechtes Gewissen, den Festangestellten gegenüber, oder dem System? Das muss ja viel Geld bezahlen für Sie.

Nein, kein bisschen. Jeder entscheidet sich für den eigenen Weg. Jeder kann in die Zeitarbeitsfirma wechseln. Das ist außerhalb meiner Verantwortung.

Ich glaube, dass die Zeitarbeitsfirmen ein Weg sind, um deutlich bessere Konditionen für die Pflege zu erreichen – wenn mehr Leute wechseln. Es könnte das System unter Druck setzen.

Wenn das Vorgehen gegen die Zeitarbeit nicht einhergeht mit einer signifikanten Verbesserung der Konditionen in den Krankenhäusern, dann, denke ich, wird das eher in einem Pflege-Exodus enden.

Michael Nowak, Pflegefachkraft bei einer Zeitarbeitsfirma

Wie realistisch ist das? Der Bundesgesundheitsminister hat angekündigt, Leiharbeit in Krankenhäusern einzuschränken. Das St. Joseph-Stift in Bremen arbeitet nach eigenen Angaben gar nicht mehr mit Leiharbeitskräften.

Mein Krankenhaus hat auch gesagt, ein Jahr lang, dass es auf Leiharbeitskräfte verzichtet. Und jetzt arbeiten dort gefühlt mehr Zeitarbeiter, als ich es in den Kliniken, in denen ich war, jemals erlebt habe. Auf meiner aktuellen Station arbeiten fast nur Leiharbeiter. Die wollen das natürlich nicht, weil die Krankenhäuser auch superviel Geld zahlen müssen, um die Kräfte einzumieten. Aber wenn das Vorgehen gegen die Zeitarbeit nicht einhergeht mit einer signifikanten Verbesserung der Konditionen in den Krankenhäusern, dann, denke ich, wird das eher in einem Pflege-Exodus enden. Wenn mir jemand sagen würde: 'Du musst in die Festanstellung.' Dann würde ich den Beruf wechseln.

Und da nehmen Sie sich selbst beim Wort?

Wenn jemand Ihnen sagt: 'Du darfst jetzt nicht mehr signifikant mehr Geld verdienen – und nicht mehr verlässlich bestimmen, dass man am Geburtstag seines Kindes frei hat.' Dann fahre ich lieber in einem Müllauto mit. Da kann man mich beim Wort nehmen, hundertprozentig.

*Name von der Redaktion geändert

Autorin

  • Autorin
    Birgit Reichardt Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 11. Mai 2023, 6:20 Uhr