Interview

Kein Gefängnis fürs Schwarzfahren: Welches Fazit zieht Bremen?

Ein Fahrkartenkontrolleur kontrolliert mit einem elektronischen Lesegerät in der U-Bahn Gäste.

Kein Gefängnis fürs Schwarzfahren: Wie sieht es in Bremen aus?

Bild: dpa | Daniel Karmann

Wer ohne Ticket in Bus oder Bahn steigt, macht sich strafbar. In Bremen landen Schwarzfahrer seit einem Jahr aber nicht mehr im Gefängnis. Bremens Justiz-Staatsrat zieht Bilanz.

Schwarzfahren ist laut Strafgesetzbuch in Deutschland eine Straftat. In Bremen landen Schwarzfahrer aber seit rund einem Jahr nicht mehr im Gefängnis. Der Senat hatte die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) angewiesen, keine Strafanzeigen mehr wegen des häufigen Fahrens ohne Fahrschein zu stellen. Bis dahin wurden Ersatzfreiheitsstrafen verhängt, wenn jemand wiederholt schwarz gefahren ist und seine Geldstrafen nicht zahlen konnte.

Hintergrund ist, dass Schwarzfahren die Justiz durch unzählige Anzeigen, Verfahren und Gefängnisaufenthalte belastet. Auch Bundesjustiziminister Marco Buschmann (FDP) möchte Schwarzfahren entkriminalisieren und daraus eine Ordnungswidrigkeit machen. Der entsprechende Gesetzentwurf kommt in Berlin bislang aber nur schleppend voran.

Wie Bremens Vorstoß läuft und was die Änderung gebracht hat, erklärt Bremens Staatsrat Björn Tschöpe (SPD) von der Justizbehörde.

Noch ist Schwarzfahren eine Straftat. Setzt sich der Bremer Senat mit der Anweisung an die BSAG, Schwarzfahren nicht mehr anzuzeigen, nicht über Bundesrecht hinweg, Herr Tschöpe?

Nein, das Fahren ohne Fahrschein ist auch in Bremen weiterhin eine Straftat. Der Senat hat beschlossen, die Bremer Straßenbahn AG (BSAG) anzuhalten, keine Strafanzeigen mehr zu stellen. Andere Verkehrsbetriebe, die nicht in kommunaler Trägerschaft sind, machen das sehr wohl. Insofern haben wir auch noch Leute, die wegen des Fahrens ohne Fahrschein gerichtlich verfolgt werden.

Aber wird so nicht hinten herum doch die Rechtsstaatlichkeit ausgehebelt?

Das ist seit über zehn Jahren Praxis in Bremerhaven und das machen auch diverse Verkehrsbetriebe in Nordrhein-Westfalen und deutschlandweit. Es ist ein völlig normales Vorgehen.

Björn Tschöpe
Björn Tschöpe ist Staatsrat für Justiz und Verfassung und in der SPD aktiv. Bild: Radio Bremen

Es geht um Entkriminalisierung, aber auch um Entlastung. Wie sehr hat die Anweisung die Justiz in Bremen bislang entlastet?

Der erhebliche Anteil der Strafanzeigen für die Stadt Bremen ist in der Tat von der Bremer Straßenbahn AG gestellt worden. Es werden aber selbstverständlich auch Strafanzeigen von der Deutschen Bahn und von anderen Verkehrsunternehmen gestellt. Das Anzeigen-Niveau ist erheblich herunter gegangen.

Aber zum Thema Entkriminalisierung: Wir würden einen Schritt weitergehen wollen als der Bundesjustizminister – der will das Ganze ja zur Ordnungswidrigkeit machen, womit am Ende trotzdem Leute im Gefängnis landen können. Wir würden das dahin spielen, wo es hingehört, nämlich auf die zivilrechtliche Ebene: Die BSAG und die anderen Verkehrsunternehmer sind private Unternehmen, die sich ihre Forderungen eben auf dem Zivilrechtsweg wiederholen müssen. Das machen alle anderen Marktteilnehmer auch.

Wie sehr spüren Sie die Entlastung in der Justizbehörde? Ist jetzt mehr Platz in Bremens Gefängnissen?

Unsere JVA ist voll belegt. Wir haben jetzt auch die sogenannten Ersatzfreiheitsstrafen deswegen aussetzen müssen. Ersatzfreiheitsstrafen sind, wenn Leute ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten oder nicht bezahlt haben. Davon haben wir im Bremer Knast unter Regelbedingungen 50 bis 60 (Anmd. d. Red.: Insassen). Und man kann davon ausgehen, dass ungefähr die Hälfte, also 30 (Anmd. d. Red.: Menschen) im Knast sitzen, weil sie wegen Beförderungserschleichung verurteilt worden sind und dann ihre Geldstrafe nicht bezahlt haben.

Das Anzeigen-Niveau ist also gesunken. Gibt es Zahlen dazu, ob jetzt mehr oder weniger schwarzgefahren wird?

Das müssen Sie die BSAG fragen. Nach meinem subjektiven Eindruck gehe ich nicht davon aus, dass das zu irgendeiner Steigerung von Schwarzfahren geführt hat.

Wir haben bei dem Klientel, das schwarz fährt, gedanklich immer zwei verschiedene Typen: Die Einen sind die, die so tatsächlich Geld sparen wollen und sich deshalb keinen Fahrschein kaufen und das aber durchaus bezahlen können. Die werden weiterhin verfolgt und die würden auch im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens das Geld am Ende zahlen müssen.

Und dann haben Sie diejenigen, die mittellos sind und ihr Leben oft nicht auf die Reihe kriegen und deshalb mehrfach schwarz gefahren sind. Die haben es vorher nicht bezahlt und ich habe nicht die Hoffnung, dass die sich jetzt einen Fahrschein kaufen.

Wie würden Sie sich den Umgang mit Schwarzfahrenden wünschen?

Ich könnte mir das so vorstellen wie es in vielen anderen europäischen Ländern läuft. Dort sind die Verkehrsbetriebe dafür verantwortlich, dass bei ihnen der Fahrpreis bezahlt wird. In London kommen Sie nicht in die U-Bahn, wenn Sie nicht durchs Drehkreuz gehen. In anderen Ländern können Sie nur in den Bus einsteigen, wenn Sie den Fahrschein vorweisen. Das muss sozusagen die BSAG in Bremen auch leisten können. Die kann ja nicht ihre Betriebskosten sozusagen auf die Gesamtheit aller Bürger umlagern und dann für eine Freiheitsstrafe von 180 Euro pro Tag dem Steuerzahler aufbürden.

Das Interview führte Hendrik Plaß. Niedergeschrieben wurde es von Patricia Averesch.

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Autorinnen und Autoren

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Tag, 14. August 2024, 15:10 Uhr