Interview
"Fukushima hat auf tragische Weise Einfluss auf Energiepolitik gehabt"
Der Atomausstieg kommt, aber die Windenergie stockt: Zehn Jahre nach der Nuklearkatastrophe in Japan blickt Bremens Umweltsenatorin Schaefer kritisch auf die Energiepolitik.
Mit einem Seebeben vor der japanischen Sanriku-Küste ging es los: am 11. März 2011, um 14.46 Uhr. Das Beben löste Tsunami-Flutwellen aus, die 500 Quadratkilometer der japanischen Küste überfluteten. Außerdem führten die Erschütterungen zu einer Unfallserie im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi.
In drei Reaktorblöcken kam es dabei zu Kernschmelzen, vier wurden zerstört. Radioaktive Emissionen verseuchten Luft, Wasser, Böden und Nahrungsmittel. Nach Angaben der Tagesschau starben in der unmittelbarer Folge der Katastrophe bis zu 20.000 Menschen. 160.000 mussten die Region verlassen. Die Debatte um den Ausstieg aus der Kernenergie nahm weltweit Fahrt auf.
Frau Schaefer, gut drei Monate nach Fukushima haben Bundestag und Bundesrat beschlossen, alle deutschen Atomkraftwerke bis 2022 abzuschalten. Hat Fukushima die deutsche Energiepolitik so gesehen vorangebracht?
Ich bin schon überzeugt davon, dass Fukushima einen großen Einfluss auf den Atomausstieg in Deutschland gehabt hat. Die Debatten hatten wir lange vorher schon. Es war gerade damals ein heißes Thema, über das viel gestritten wurde – da passierte dieses große Unglück: Fukushima. Drei Monate später ist der Atomausstieg beschlossen worden. Ohne Fukushima hätte die Diskussion noch weitaus länger gedauert. Insofern hat Fukushima auf tragische Weise einen großen Einfluss auf die deutsche Atompolitik gehabt.
Zu den Gewinnern werden auch die Grünen gerechnet. Ihre Partei hat bei der Bürgerschaftswahl in Bremen 2011 mit 22,5 Prozent der Stimmen sechs Prozentpunkte mehr erreicht als 2007. Die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" schrieb spöttisch von dem "Fukushima-Effekt". Inwiefern ist es den Grünen aus Ihrer Sicht in Bremen gelungen, einen Vorteil aus den Unfällen in Japan zu ziehen?
Wenn man sich anguckt, welche Ausmaße das Unglück von Fukushima hatte, dann finde ich es nicht gut, wenn man von Vorteilen spricht, den der eine oder andere gehabt habe. Das Ganze war ein Riesennachteil nicht nur für Japan, sondern generell für die Umwelt, für viele Menschen, die zu Schaden oder sogar ums Leben gekommen sind. Das vorweg.
Aber, ja: Die Grünen haben immer vor Atomunfällen gewarnt, haben gerade den Atomausstieg auch immer als zentrales Thema neben dem Klimaschutz gehabt. Insofern hat Fukushima auch einen Einfluss auf die Bürgerschaftswahl gehabt. Aber wenn man sich jetzt die Wahlergebnisse ansieht, auch die Prognosen, sieht man, dass die Grünen immer noch weit oben stehen. Das hat nicht ausschließlich mit Fukushima zu tun.
Was hätte, zumal aus Bremer Sicht, in der deutschen Energiepolitik nach Fukushima anders laufen müssen? Und: inwiefern?
Erst einmal: Es ist gut, dass nach Fukushima in Deutschland der Atomausstieg so kurzfristig beschlossen wurde und auch relativ schnell die alten, unzuverlässigen Atomkraftwerke vom Netz gegangen sind, auch in Bremen. Das Kraftwerk Unterweser ist ja damals zeitnah vom Netz gegangen.
Und was ist schlecht gelaufen?
Man hätte dann schneller auf den Ausbau der erneuerbaren Energien setzen müssen. Die Deckelung des Offshore-Windbereichs – das war kontraproduktiv. Die Energiewende hätte mit aller Macht vorangetrieben werden müssen: Ausbau Offshore, Ausbau Onshore! Beim Erneuerbare-Energie-Gesetz hätte man außerdem richtig auf Solarenergie setzen müssen. Das ist einfach zu kurz gekommen.
Was wäre für Bremen und für Bremerhaven möglich gewesen?
Bremerhaven hat damals sehr auf Offshore gesetzt. Das war das neue Cluster. Da hat man sich eine richtige Chance für die Energiewende und für Bremerhaven ausgerechnet mit den entsprechenden Arbeitsplätzen. Aber durch den Schlingerkurs der Bundesregierung mit der Deckelung des Offshore-Bereichs hat man das genaue Gegenteil gemacht: Man hat die ganze Branche verunsichert. Für Bremerhaven war das dramatisch und ist es auch noch. Man hat eine ganze Energiebranche in den Keller geschickt. Wir sehen in Bremerhaven ja, wie viele große Konzerne abgewandert sind mit den ganzen Arbeitsplätzen. Das hätte nicht passieren dürfen. Nachdem man sich schlauerweise für den Atomausstieg entschieden hatte, hätte man konsequenterweise die erneuerbaren Energien pushen müssen. Davon hätten Bremerhaven und Bremen sehr profitiert.
Wie ließe sich diese Entwicklung heute korrigieren?
Es würden sich gut korrigieren lassen, wenn alle das Pariser Klimaabkommen ernst nähmen. Das heißt auch: Die Kohlendioxid-Reduzierung bis 2030 von 80 Prozent anerkennen. Aber das geht nur, wenn man jetzt auf die Energiewende setzt, mit aller Kraft die Erneuerbaren ausbaut. Man kann Förderprogramme auflegen für Solarenergie, aber auch für Geothermie und Wärmepumpen. Wir müssen weg von den Fossilen Brennstoffen, nicht nur von der Atomenergie.
Nun hat man an der Offshore-Windenergie Bremerhavens deutlich gesehen, dass der Einfluss Bremens auf die bundesdeutsche Energiepolitik sehr begrenzt ist. Inwiefern kann Bremen überhaupt Einfluss ausüben?
Es stimmt schon, dass wir im Bund nicht den Ton angeben. Aber vor zwei Jahren haben alle demokratischen Bremer Parteien eine Erklärung abgegeben: Dass sie an dem Ausbau der erneuerbaren Energien, gerade im Windsektor, festhalten. Das ist ein deutliches Signal an den Bund. Wir haben außerdem eine Windenergieagentur Bremen/Bremerhaven, die natürlich für unseren Standort wirbt, für den Klimaschutz und für die Energiewende. Wir haben eine Stimme im Bundesrat. Und natürlich sind wir auch auf der Umweltministerkonferenz und der Energieministerkonferenz vertreten und werben dort für die Energiewende. Also: Wir haben schon ein paar Instrumente, mit denen wir die Energiepolitik ein bisschen beeinflussen können.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 11. März 2021, 19.30 Uhr