Raubgut? Wie Exponate aus Bremer Museen zurück zu Besitzern kommen

Auspacken des Bootssteven in Samoa.
Ein 1888 geraubter Boossteven wurde 2024 an Samoa zurückgegeben. Er ist nun in einer Ausstellung der National University of Samoa zu sehen. Bild: Übersee-Museum Bremen

Daten abgleichen, Briefwechsel studieren, Erben ermitteln: Woher kommen die Werke in einer Museumssammlung? Damit beschäftigen sich Forscherinnen an verschiedenen Bremer Häusern.

In vielen Bremer Museen ist die Herkunftsforschung ein großes Thema. Vor allem in den vergangenen Jahren hat es Fahrt aufgenommen. Es geht dabei auch um die Frage, ob Exponate rechtmäßig ins Haus gekommen sind, oder ob sie beispielsweise während der Kolonial- oder NS-Zeit entzogen wurden. Wir stellen vier Fälle vor, die Historiker und Öffentlichkeit beschäftigt haben.

1 Sammlung Alba Franzius

Der Ausweis von Alba Franzius
NS-Ausweis von Alba Franzius: Die wohlhabende Frau büßte in der Nazizeit ihr Vermögen ein und nahm sich schließlich das Leben. Bild: Staatsarchiv Hamburg.

Sie kam aus einer wohlhabenden Wiener Familie, lebte in Südafrika, Indien, Deutschland – doch am Ende nahmen die Nazis ihr alles, sogar ihren Lebensmut: Am 12. Dezember 1941 starb Alba Franzius, nachdem sie am Vorabend eine Überdosis Schlaftabletten genommen hatte. Franzius wurde in der NS-Zeit als Jüdin verfolgt. Nachdem ihr Mann gestorben war, verlor sie jeglichen Schutz, den sie wegen einer "Mischehe mit einem Arier", wie es im Nazi-Jargon hieß, gehabt hatte. Die wohlhabende Frau musste vieles verkaufen, ihr Konto wurde gesperrt. Auch eine Sammlung mit Stücken indischer und chinesischer Herkunft, unter anderem antike indische Waffen, gehörten zu ihrem Besitz. Und der befindet sich heute im Übersee-Museum.

Um herauszufinden, woher Stücke stammen, schaut Bettina von Briskorn sich erst einmal an, wann und auf welchem Weg etwas in die Sammlung des Museums gekommen ist. Sie ist Historikerin und für die Provenienzforschung im Übersee-Museum zuständig. Provenienzforschung ist das Erforschen der Herkunftsgeschichte von Museumsstücken. Weil die Sammlung des Übersee-Museums zu einem großen Teil aus Exponaten besteht, die in ehemaligen Kolonien geraubt wurden, hat diese Forschung dort eine lange Tradition. Der größte Teil der Sammlung von Alba Franzius ist im Jahr 1937 als Leihgabe vermerkt. Im folgenden Jahr wurde dies in eine Schenkung umgewandelt. "Diejenigen, die als Juden verfolgt wurden, waren gezwungen, ihr Vermögen anzumelden", erklärt Bettina von Briskorn. Die Tatsache, dass die Schenkung zwei Tage vor einem Fristablauf passierte, nachdem Menschen, die dieser Anmeldepflicht nicht nachkamen, Strafen drohten, lässt sie darauf schließen, dass Franzius ihre Sammlung nicht aus freien Stücken verschenkte. Zudem ist durch Briefe belegt, dass sie über ihren Anwalt versucht hatte, die Sammlung vorher zu verkaufen.

Alba Franzius hatte keine Kinder und vermachte ihr Erbe ihrer Nichte. Die wiederum starb ebenfalls kinderlos im Jahr 1980. Ihre Erbin wurde in Italien vermutet, die Spur verlor sich aber. 2024 hat von Briskorn einen neuen Hinweis auf mögliche Erben bekommen, allerdings seien die eingereichten Dokumente derzeit in der Überprüfung.

2 Bootssteven von Samoa

Ein hölzener Bootssteven aus Samoa.
Der hölzerne Bootssteven aus Samoa konnte 2024 zurückgegeben werden und wird dort ausgestellt. Bild: Senatspressestelle Bremen

Im Fall eines sogenannten Bootsstevens ist die Rückgabe geglückt. Der Steven, eine Art Gallionsfigur eines Kanus, wurde 1888 zur Zeit des Bürgerkriegs in Samoa, erbeutet. In Besitz hatte ihn bis zu seiner Schenkung 1932 an das Vorläufermuseum des Übersee-Museums Admiral Wilhelm Souchon. Er war 1888 Offizier auf dem Kriegsschiff SMS "Adler" in Apia, Samoa. Unter seiner Führung erbeutete die Besatzung das Kanu, zersägte es und teilte es auf. Souchon heiratete später eine Bremerin und wohnte in einer Villa an der Horner Heerstraße, die heute verfallen ist. Der Steven ist deshalb so bedeutsam, weil es diese Boote in Samoa nicht mehr gibt. "Ein weiterer Rückführgrund war die ethisch problematische Form der Aneignung", erklärt von Briskorn. Die ist durch Aufzeichnungen von Souchon selbst belegt. "Ein Idealfall für die Rückführung", sagt die Historikerin. Seit Herbst 2024 ist das Stück in einer Ausstellung der National University of Samoa zu sehen, die zusammen mit dem Bremer Übersee-Museum entwickelt wurde.

3 Gemälde von George Grosz

Eines der Gemälde von George Grosz.
"Stillleben mit Okarina" (1931) von George Grosz. Ein Entscheidungsgremium für entzogenes Kulturgut sieht die Stadt Bremen als rechtmäßige Eigentümerin. Bild: Radio Bremen

Auch in der Bremer Kunsthalle wurden in den vergangenen Jahren viele Kunstwerke überprüft. Provenienzforscherin Brigitte Reuter arbeitet seit 2010 in dem Kunstmuseum. Bei der Herkunftsforschung, die oft einer Detektivarbeit gleicht, geht es oft darum, Lücken zu schließen. Provenienzforscher arbeiten deshalb sehr eng zusammen, sagt Reuter. "Wenn ich auf Lücken stoße, nicht weiß, wo sich ein Werk in einem gewissen Zeitraum befunden hat, dann habe ich die Möglichkeit es in einer speziellen Datenbank einzustellen, wo es international gefunden und eingesehen werden kann."

Für Aufsehen sorgte zuletzt der Fall um zwei Werke des Künstlers George Grosz im Eigentum der Stadt Bremen. Dessen Erben hatten die beiden Gemälde "Pompe Funèbre" (1928) und "Stillleben mit Okarina" (1931), zurückgefordert. Sie hatten argumentiert, dass es sich um verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut handele. Grosz' gesellschaftskritische Kunst galt im Nationalsozialismus als "entartet", sie wurde nicht mehr öffentlich ausgestellt und beschlagnahmt. Zudem war Grosz früh in die KPD eingetreten. Nur wenige Wochen vor der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933, reiste der Künstler mit seiner Familie in die USA aus, wo er eine Stelle bekommen hatte.

Die "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz", wurde angerufen und sprach sich Ende Oktober 2024 dafür aus, dass die Stadt Bremen rechtmäßige Eigentümerin der zwei Gemälde ist. Sie geht bei dem Gemälde "Pompe Funèbre" davon aus, dass Grosz sein Eigentum an dem Werk verlor, weil er hohe Schulden bei seinem Galeristen hatte. Im Fall des "Stillleben mit Okarina" fehlten Beweise dafür, dass es im Zeitraum ab der Machtübernahme der Nationalsozialisten noch im Eigentum des Künstlers war.

  • Bremer Kunsthalle darf Gemälde von George Grosz behalten

    Erben von Grosz forderten zwei Bilder zurück, weil sie dem Künstler in der NS-Zeit entzogen worden sein sollen. Ein Gutachten kommt nun zu einer anderen Bewertung.

4 Nachlass des Fotografen Julius Frank

Julius Frank. Eine jüdische Fotografenfamilie zwischen Deutschland und Amerika.
Selbstporträt von Julius Frank um 1937. Weil er nicht mehr genug Aufträge erhielt, um seine Familie zu ernähren, emigrierten die Franks 1936 nach USA. Bild: Focke Museum

Im Focke-Museum konnte man sich vor einigen Jahren über einen großen fotografischen Nachlass freuen. Doch die Geschichte dahinter ist eine von Verfolgung: 1936 verkaufte der jüdische Fotograf Julius Frank sein Atelier in Lilienthal zu einem Billigpreis. Sein vorher gut laufendes Geschäft lief kaum noch, der Großteil der Aufträge fiel weg, unter anderem konnte er nach eigenen Angaben Schulen und Behörden nicht mehr beliefern und seine "gesamte zahlreiche Beamtenkundenschaft" habe er verloren. Frank reiste mit seiner Familie in die USA aus, wo er weiter als Fotograf arbeitete und Preise gewann. In den 1980er Jahren ging ein Teil des Fotoateliers an das Focke-Museum. "Damals war nur bekannt, dass ein Vorbesitzer in die USA gegangen war", sagt Kuratorin Karin Walter. Der Heimatverein Lilienthal fand Frau und Kinder des inzwischen verstorbenen Frank und lud sie 2006 nach Bremen ein. 2019 entschlossen sich seine Kinder Mike und Barbara Frank, den Familiennachlass dem Bremer Landesmuseum und dem Heimatverein Lilienthal zu überlassen. 2022 kuratierte Walter eine Ausstellung über Frank, zur Familie sei ein guter Kontakt entstanden. "Kinder und Enkel haben sich gefreut, dass der Vater und Großvater seine Bedeutung als Fotograf für die Region zurückerhalten hat", sagt Walter. Mittlerweile erinnert auch eine Straße und ein Stolperstein in Lilienthal an den jüdischen Fotografen.

Autorin

  • Patel Verena
    Verena Patel Redakteurin und Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, Sonntag, 22. Dezember 2024, 19:30 Uhr