Fragen & Antworten
Umbenennung oder nicht? Wie es mit Bremens Langemarckstraße weitergeht
Zankapfel Langemarckstraße: Wie steht es um die Umbenennung in Bremen?
Die Langemarckstraße sorgt seit Jahren für erhitzte Gemüter in der Neustadt. Wir erklären, woher ihr Name kommt, wieso es Streit gibt – und wie es um ihre Umbenennung steht.
Vor zweieinhalb Jahren hat der Stadtteilbeirat die Änderung des umstrittenen Straßennamens beschlossen. Statt an den Langemarck-Mythos sollte die Straße künftig an einen Hitler-Attentäter erinnern. Anwohner und Gewerbetreibende protestierten, auch Historiker lehnten die Umbenennung ab – und der Bremer Senat umging eine endgültige Entscheidung. Das sind die Hintergründe.
Woher hat die Langemarckstraße ihren Namen?
Der "Mythos von Langemarck" geht auf ein Gefecht aus den Anfangsmonaten des Ersten Weltkriegs zurück. Am 10. November 1914 wagten deutsche Truppen rund um den belgischen Ort Langemark (eingedeutscht: Langemarck) einen Vorstoß, um die nahezu erstarrte Westfront doch noch zu durchbrechen. Der Angriff misslang, die deutsche Seite zählte mehr als 2.000 Tote, Verwundete und Vermisste.

In einer Meldung an die Heimat verklärten die Befehlshaber die gescheiterte Offensive. Demnach hätten die überwiegend jungen Soldaten die feindlichen Stellungen unter dem Gesang "Deutschland, Deutschland über alles" eingenommen. Eine Propaganda-Lüge, die im Kaiserreich auf fruchtbaren Boden stieß. "Diese Mischung von Nation, Jugend und Tod war sehr wirkungsmächtig", erklärt Konrad Elmshäuser, Leiter des Bremer Staatsarchivs, bei buten un binnen.
Es entwickelte sich ein nationalkonservativer Mythos, der in der NS-Zeit aufgegriffen wurde und dazu führte, dass in vielen deutschen Städten Langemarckgedenkorte, -plätze und -straßen ausgewiesen worden sind.
Konrad Elmshäuser, Leiter des Bremer Staatsarchivs
Wie hat Bremen an die Ereignisse von Langemarck erinnert?
Auch die Bremer Nationalsozialisten vereinnahmten den Mythos: In der Neustadt wurde 1937 ein gesamter Straßenzug für das Langemarck-Gedenken umbenannt. Für die Wahl der rund 1,4 Kilometer langen Straße sprach zum einen ihre gehobene Bedeutung als Verkehrsachse, zum anderen ihre Nähe zur technischen Lehranstalt.
Dort, wo sich die heutige Hochschule befindet, war drei Jahre zuvor ein Soldaten-Denkmal aufgestellt worden, das an gefallene Lehrer und Studenten der Anstalt erinnerte. Die Initiative dazu kam – ebenso wie die notwendigen Gelder – aber nicht von den Nationalsozialisten, sondern ging auf studentische Verbindungen zurück.
Warum hat Bremen den Straßennamen nach Kriegsende nicht wieder geändert?
Anders als viele andere deutsche Städte sah Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg von einer erneuten Umbenennung ab. Die Straße und das Denkmal dienten vielmehr als Erinnerungsort für die Toten des Ersten Weltkriegs. "Seit den 1980er-Jahren gibt es aber eine sehr lebendige Diskussion um die Langemarckstraße", sagt Elmshäuser. Wiederholt forderten Stimmen ihre Umbenennung, verhallten jedoch ungehört. In einer Januar-Nacht 1988 stießen schließlich Unbekannte das Denkmal von ihrem Sockel. Der umgekippte Steinblock blieb jahrzehntelang unangetastet – ebenso wie der Name der Straße, der seit 2022 aber wieder im Mittelpunkt steht.

Wieso hat der Beirat die Umbenennung beschlossen?
Der russische Angriff auf die Ukraine brachte neue Bewegung in die Umbenennungsfrage. Nach Kriegsbeginn regte eine Bürgerinitiative den Beirat dazu an, sich mit "propagandistischer Kriegstreiberei" auseinanderzusetzen – auch mit Blick auf die Langemarckstraße: "Wir haben in Bremen noch einen historischen Moment, der zu korrigieren ist", zitiert Ortsamtsleiter Uwe Martin aus der Debatte. Zwei öffentliche Sitzungen später stand der Beschluss, die Straße umzubenennen.
Für den Beirat war der Punkt gekommen, ein Zeichen gegen den Missbrauch von Kriegspropaganda zu setzen.
Ortsamtsleiter Uwe Martin
Wie soll die Langemarckstraße künftig heißen?
Laut Beschluss soll der Straßenname in Georg-Elser-Allee geändert werden. Die gleichnamige Initiative hatte auch den entsprechenden Antrag gestellt. "Die Umbenennung des Straßenzuges in Georg-Elser-Allee wäre ein deutliches Zeichen für eine friedliche Gesellschaft, Frieden und Zivilcourage", hieß es darin.
Elser war Schreinergeselle und verübte am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller einen Anschlag auf Adolf Hitler. Mit einer selbstgebastelten Bombe hatte der Einzeltäter kurz nach dem deutschen Angriff auf Polen ein größeres Blutvergießen verhindern wollen. Der Diktator verließ den Saal aber eher als geplant, das Attentat scheiterte. Elser wurde auf seiner Flucht gefasst und kurz vor Kriegsende erschossen.
Wieso ist die Straße immer noch nicht umbenannt worden?
Nach der amtlichen Bekanntmachung gab es rund 100 Beschwerden. Unter anderem befürchteten Anwohner, dass es zu Problemen bei der Zustellung ihrer Post kommen könnte. Andere beklagten die einhergehenden Behördengänge. Die Senatorin für Bau, Mobilität und Stadtentwicklung, die den Umbenennungsprozess verantwortet, erkannte darin aber keinen Grund, die Änderung nicht zu gestatten.
Der Ball lag nun beim Senat, der jedoch von einer Entscheidung absah – und stattdessen eine stärkere Bürgerbeteiligung forderte. Oder anders gesagt: den Ball zum Beirat zurückspielte. Wie die Beteiligung ausfallen soll, ist aber unklar.
Deshalb stecken wir jetzt in diesem Dilemma.
Ortsamtsleiter Uwe Martin
Wer spricht sich alles gegen die Umbenennung aus?
Von einer Umbenennung wären rund 1.150 Anwohner betroffen. Sie alle müssten die Meldeadressen in ihren Ausweisen ändern lassen, Fahrzeughalter eine neue Zulassungsbescheinigung beantragen. Für eine Petition sammelte eine Interessengemeinschaft mehr als 1.700 Stimmen. "Wir sind nicht gegen eine Umbenennung der Langemarckstraße, sondern für den Erhalt", erklärt Sprecher Nils Poppek auf Anfrage.

Demnach sei die Geschichte der Straße und des Begriffs bereits in einen "reflektierten, kritischen Diskurs eingebettet". Die Interessengemeinschaft möchte daher den "Fortbestand der Straße als Raum der Auseinandersetzung mit einem schwierigen Kapitel deutscher Geschichte ermöglichen".
Gleiches befürwortet Staatsarchiv-Leiter Elmshäuser: "Wir glauben, dass bei der Umbenennungsinitiative sehr leichtfertig über den Namen Langemarck hinweggegangen wurde und es besser wäre, wenn man den Namen erhält." In dem Zusammenhang verweist Elmshäuser auch auf das Denkmal, das inzwischen als Mahnmal für den Frieden gilt. Seit 2020 befindet es sich, mit einer erklärenden Tafel versehen, wenige Meter entfernt an einem neuen Standort.
Es gibt eine Neugestaltung des Denkmals, es gibt viele Informationen. Eigentlich ist das alles vorbildlich – doch jetzt wird alles weggewischt.
Konrad Elmshäuser, Leiter des Bremer Staatsarchivs
Laut Interessengemeinschaft spricht sich offenbar auch ein Großteil der angrenzenden Gewerbetreibenden gegen eine Änderung des Straßennamens aus. "Insbesondere aufgrund der finanziellen und organisatorischen Belastungen, die mit einer Umbenennung einhergingen", sagt Sprecher Poppek.
Was würde eine Änderung des Straßennamens kosten?
Laut Bauressort gibt es 22 Schilder in der Langemarckstraße. Sie auszutauschen, würde jeweils mindestens 270 Euro kosten. Hinzu kämen Erklärtafeln für je 200 Euro. Demnach wäre mit Ausgaben von mehr als 10.000 Euro zu rechnen.
Den Anwohnern würden bei einer Änderung des Straßennamens hingegen keine Kosten entstehen. Laut Senat soll auf entsprechende Gebühren verzichtet werden. Kommt es bei Anwohnern und Gewerbetreibenden aber doch zu Ausgaben, will die Georg-Elser-Initiative einspringen. Sie hat Spenden in Höhe von 100.000 Euro gesammelt, die für anfallende Kosten genutzt werden sollen. Die Interessengemeinschaft für den Erhalt des Straßennamens geht jedoch davon aus, dass die Spendengelder die finanziellen Ausgaben "bei Weitem" nicht decken würden.

Wie geht es jetzt weiter?
Seit der Aufforderung des Senats wurde eine Arbeitsgruppe des Beirates eingerichtet, die das gewünschte Bürgerbeteiligungsverfahren organisieren soll. Zwei Sitzungen hat es bislang gegeben – erst mit der Georg-Elser-Initiative, danach mit Vertretern der Senatskanzlei. Das nächste Treffen, zu dem die Interessengemeinschaft geladen ist, erfolgt noch im Mai.
Anschließend will der Beirat zusammen mit der Senatskanzlei das Verfahren entwickeln. "Ich hoffe, dass wir das bis Ende 2025, Anfang 2026 abgeklärt haben", sagt Ortsamtsleiter Martin. Mit einer endgültigen Entscheidung wird frühestens im Sommer des kommenden Jahres gerechnet.
Neue Runde im Streit um die Umbenennung der Langemarckstraße
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen um, 15. April 2025, 18 Uhr