Interview
Bremer Politologe: "Das ist mehr als ein blaues Auge für Merz"

Friedrich Merz ist bei der Kanzlerwahl im ersten Wahlgang durchgefallen. Der Bremer Politikforscher Lothar Probst erklärt, warum das der Koalition geschadet hat.
Merz verfehlte die notwendige absolute Mehrheit von 316 Stimmen um sechs Stimmen, obwohl CDU/CSU und SPD über 328 Sitze verfügt – was auf Abweichler innerhalb der Koalition hindeutet. Der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst erklärt, was daraus folgt.

Herr Probst, ist die Nichtwahl ein blaues Auge oder ein Beinbruch für Friedrich Merz?
Es ist auf jeden Fall mehr als ein blaues Auge. Diese Koalition ist mit dem Versprechen angetreten, Verantwortung für Deutschland zu übernehmen. Wenn sie dann schon im ersten Wahlgang scheitern, wirft das einen schlechten Schatten auf den Beginn dieser Koalition. Für ihn persönlich ist es eine Niederlage, dass er als erster Kanzler der Bundesrepublik nicht im ersten Wahlgang gewählt worden ist.
Abweichler bei Kanzlerwahlen hat es aber immer schon gegeben, oder?
Ja, das gab es schon häufig in der Bundesrepublik. Das war gerade bei Großen Koalitionen, die eine große Mehrheit hatten, immer wieder der Fall. Willi Brandt und Helmut Schmidt beispielsweise bekamen als SPD nicht alle Stimmen aus ihrer SPD-geführten Koalition, was aber am Ende keine Rolle spielte. Auch Angela Merkel erhielt bei ihrer Kanzlerwahl deutlich weniger Stimmen, als die Große Koalition Sitze hatte.
Auch auf Landesebene braucht es oft mehrere Wahlgänge – zuletzt schaffte es Dietmar Woidke (SPD) Ende Dezember in Brandenburg erst im zweiten Versuch.
Es gab immer wieder Fälle, wo Ministerpräsidenten erst im zweiten oder dritten Wahlgang gewählt worden sind. Das muss kein Beinbruch sein. Im Fall Merz hat das aber eine andere Dimension.

Heide Simonis scheiterte 2005 sogar als Ministerpräsidentin. Gibt es da Parallelen zu Merz?
Ich glaube, wir haben hier eine andere Situation. Bei Heide Simonis, die eine Minderheitskoalition anstrebte, hat damals offenbar jemand aus Prinzip gegen sie gestimmt. Davon gehe ich jetzt nicht aus. Ob es nun Leute aus der SPD waren, die ihn vorführen wollten. Ob es mit der Kabinettsbesetzung unzufriedene Unions-Abgeordnete waren, ist im Grunde egal. Denn eigentlich müsste die Koalition ein elementares Interesse daran haben, zu demonstrieren, dass sie handlungsfähig ist. Einen Vorteil hat jetzt eigentlich nur eine Partei wie die AfD, der so etwas Schadenfreude entlockt.
Wie geht es jetzt weiter?
Noch in dieser Woche soll der zweite Wahlgang stattfinden. Das ist im Grundgesetz klar geregelt. Auch da muss Merz als Kanzlerkandidat die absolute Mehrheit erzielen. Da werden jetzt sicherlich in den Fraktionen Gespräche geführt. Da werden nochmal alle bearbeitet, Einzelgespräche geführt und – wenn es einen Verdacht gibt – vielleicht auch mal jemand in die Mangel genommen.
Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Grünen einigen die Freiheit geben, für Merz zu stimmen. Denn die Grünen haben ja vorab auch einiges in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt, zum Beispiel im Hinblick auf die Klimapolitik.
Und wenn es auch im zweiten Wahlgang nicht reicht?
Wenn das schiefgeht, wäre das ein Fiasko. Das käme schon fast dem Ende der Karriere des Friedrich Merz gleich. Ob er dann nochmal zu einem dritten Wahlgang antritt, muss man sehen. Spätestens im dritten Wahlgang reicht ihm allerdings eine kleinere Mehrheit. Er müsste dann nicht mehr die Hälfte aller Abgeordneten überzeugen, sondern nur die einfache Mehrheit der Abgeordneten.
Sollte es so weit kommen, wäre das aber schon eine schwere Hypothek für eine Koalition, die ursprünglich geschlossen auftreten wollte, um Deutschland voranzubringen.
Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde geführt, bevor beschlossen wurde, dass am Dienstag der zweite Wahlgang stattfindet. Im zweiten Wahlgang wurde Friedrich Merz gegen 16.15 Uhr zum Bundeskanzler gewählt.
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Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. Mai 2025, 19:30 Uhr