Wie Bremer Aktivisten in langen Nächten eine Abschiebung verhindern
Weil Deutschland für seinen Asylantrag nicht zuständig ist, soll ein Somalier nach Finnland abgeschoben werden. Die Zionsgemeinde gewährt dem Mann seit Tagen Kirchenasyl.
Mehrere Personen in Winterjacken bringen am Dienstagabend ein Transparent über dem Eingang der Zionskirche in der Bremer Neustadt an. "Keine Kompromisse" steht da und: "Bewegungsfreiheit für ALLE." Auf der Straße hat sich eine Traube Menschen zusammengefunden. Sie rauchen, diskutieren und tauschen sich über die letzte Nacht aus. Immer wieder kommen Nachzügler mit Isomatten und Schlafsäcken.
Die Zionsgemeinde, der Bremer Flüchtlingsrat und die antirassistische Gruppe Antira United Bremen haben in der Nacht zu Dienstag gegen die drohende Abschiebung eines 25-jährigen Somaliers nach Finnland mobilisiert. Ein erster Versuch der Bremer Behörden war Montagnacht durch den Widerstand des Pastors Thomas Lieberum und Dutzender weiterer Personen verhindert worden. Sie hatten sich dort versammelt, nachdem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) entschieden hatte, dass der Geflüchtete nach Finnland ausreisen soll. Die Zionskirche ließ mitten in der Nacht die Glocken läuten, um auf die Situation aufmerksam zu machen.
Mäurer verteidigt Abschiebungsversuch
Es sei der erste versuchte Bruch des Kirchenasyls seit 25 Jahren, so der Pastor Thomas Lieberum. "Das Kirchenasyl ist ein hohes Gut, das bisher weitgehend akzeptiert worden ist. Diesen Konsens scheint Herr Mäurer nun aufgegeben zu haben", sagt er mit Blick auf den Innensenator. Der hat den Abschiebeversuch gegenüber buten un binnen bereits verteidigt: "Das Problem ist, in früheren Jahren hatten wir zehn Asylfälle gehabt im Jahr. Jetzt sind wir bei weit über 100. Es ist völlig klar, dass bei dieser Entwicklung das BAMF auch zum Ergebnis kommen wird, dass der ein oder andere Fall auch negativ endet."
Der Somalier hat seine Heimat verlassen, weil dort Bürgerkrieg herrscht. Er ist über Russland nach Finnland eingereist und soll, nach Angaben seines Anwalts, dabei mehrfach gewaltsam von finnischen und russischen Grenzbeamten zurückgeschoben worden sein.
Wenn er bis Samstag in Deutschland ist, dann ist Finnland nicht mehr zuständig.
Thomas Lieberum, Pastor der Zionsgemeinde
Wie geht es jetzt weiter in dem Fall?
Das liegt an den Überstellungsfristen des Dublin-Verfahrens. Nach den Regeln des Abkommens ist das EU-Land für den Asylantrag zuständig, in dem die geflüchtete Person erstmals nach Europa gekommen ist. Reist sie danach innerhalb der EU weiter, kann sie in das erste Land abgeschoben werden. Das geht aber nur, wenn die Überstellung binnen sechs Monate durchgeführt wird. Im aktuellen Fall verstreicht diese Frist am 7. Dezember.
"In Finnland droht ihm Gefängnis und wahrscheinlich die Abschiebung nach Russland", sagt der Pastor. Deswegen kommen auch am Montagabend wieder rund 500 Menschen in die Gemeinde. Viele wollen hier übernachten und sich der Polizei in den Weg stellen, sollte es aus ihrer Sicht nötig sein.
Weit über 100 Menschen übernachten in der Kirche
Das Treppenhaus ist gefüllt mit Menschen. Eine Aktivistin steht auf einem Stuhl und gibt Anweisungen, wie man sich während eines möglichen Polizeieinsatzes zu verhalten habe und sagt, wo noch Leute gebraucht würden.
Ein Stockwerk weiter oben im Kirchensaal schlafen schon die ersten auf ihren Isomatten. Eine Person macht auf das Essen im Theatersaal aufmerksam. Die Stimmung ist locker, man versucht sich die Zeit zu vertreiben. Zwei Leute suchen nach Mitspielern für eine Runde Doppelkopf, andere spielen Uno oder Schach. Angespannt wirken die meisten hier nicht.
Gegen 2 Uhr zeigen sich die ersten Anzeichen der Müdigkeit. "Die Leute gehen langsam ins Bett. Ich bin auch müde, werde aber noch eine Weile hier sitzen und aufpassen", sagt einer. Er möchte nicht, dass sein Name veröffentlicht wird. "Ich rechne schon damit, dass die Polizei heute noch kommt, die lassen sich keine Chance entgehen."
Streifenwagen fahren um die Kirche herum
Selbst tief in der Nacht sind noch weit über 100 Personen im Theatersaal versammelt. Auf den Tischen stehen leere Flaschen, Tassen, Snacks und Süßigkeiten. Kurz kommt ein bisschen Unruhe in den Raum, als eine der Organisatorinnen eine Ansprache halten möchte. Kommt jetzt die Polizei? Nein, es geht nur darum, dass es jetzt wieder Kaffee gibt.
"Ich bin ein bisschen aufgeregt, aber auch sehr müde. Ich glaube, alle sind sehr müde", sagt eine Aktivistin. Am Ende bleibt es die Nacht über ruhig. Zwar fahren ein paar Streifenwagen in den Straßen um die Kirche herum, aber zum Abschiebeversuch kommt es in dieser Nacht nicht. Ähnlich läuft es auch in der Nacht zu Donnerstag. Die Bremer Suppenengel versorgen die Gruppe mit Lebensmitteln.
Aktivisten entwickeln Routine
Es gibt mittlerweile eine gewisse Routine, viele kennen den Ablauf schon. "Wir merken, dass wir nach drei Nächten richtig eingeübt sind", sagt Nazanin Ghafouri vom Flüchtlingsrat Bremen. "Es gab auch neue Personen, die sich aber schnell einfädeln konnten." In dieser Nacht ist es deutlich kälter als in der Nacht zuvor. Frost beschlägt die Autos. Im Hinterhof hat jemand eine Feuerschale aufgestellt, an der sich ein paar Leute wärmen.
"Wir sind so viele, dass unser Kommunikationskanal das Teilnehmer-Limit erreicht hat und wir einen neuen Kanal aufmachen werden", sagt Ghafouri. In dem Kanal sind mittlerweile 1.000 Personen. Mit Blick auf die nächsten Nächte sagt sie: "Wir werden hier stehen, so zahlreich wie wir sind, bis die Abschiebung vom Tisch ist."
Auch diese Nacht geht ohne einen weiteren Räumungsversuch durch die Polizei vorbei. Doch auch in den nächsten Nächten werden die Aktivisten hier in der Kirche übernachten. "Ich hoffe, dass es ruhig bleibt und Herr Mäurer ein Einsehen hat, aber ich befürchte, dass sie es doch noch probieren werden", sagt der Pastor.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 4. Dezember 2024, 19:30 Uhr