Interview

Wie Auschwitz-Arzt Mengele einer Bremer Biologin zugearbeitet hat

Eine Gruppe von Sinti und Roma im Konzentrationslager Belzec (um 1942)

Historiker Hans Hesse über die Bremer NS-Biologin Magnussen

Bild: dpa | akg-images

Der Bremer Historiker Hans Hesse hat ein Buch über die grausamen Menschenversuche in der NS-Zeit geschrieben. Diese sind eng mit einer Bremerin verknüpft – die dafür nie büßen musste.

80 Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft in Deutschland ist viel über die Gräueltaten der Nationalsozialisten bekannt. So auch über die brutalen Menschenversuche des KZ-Arztes Josef Mengele in Auschwitz. Dass aber ausgerechnet eine Bremer NS-Biologin von den Experimenten profitierte, ist bisher weitgehend unbekannt.

In seinem neuen Buch "… ich will …, dass die Wahrheit siegt …" beschäftigt sich der Bremer Historiker Hans Hesse mit den Verfolgungsgeschichten von sechs Sinti-Familien, die Opfer der Bremer Biologin Karin Magnussen wurden. Im Interview erklärt Hesse, warum in dem neuen Buch vor allem die Opfer im Vordergrund stehen.

Die NS-Biologin Karin Magnussen war vor allem an den Augen der Familienmitglieder interessiert. Warum?

Weil viele Mitglieder dieser Familie verschiedenfarbige Augen hatten. Der Begriff dafür ist Heterochromie. Die Familienmitglieder haben beispielsweise blaue und braune Augen. Diese Anomalie wollte Magnussen genauer untersuchen und dafür hatte sie sich diese Familie ausgeguckt. Sie hat die Familie schon drei Jahre lang beobachtet und als diese Familie dann nach Auschwitz kam, konnte sie ihre Versuche an der Familie von Mengele durchführen lassen.

Buchcover von "... ich will ..., dass die Wahrheit siegt ..."
Das Cover des Buches "… ich will …, dass die Wahrheit siegt …" von Hans Hesse. Bild: Edition Falkenberg

Josef Mengele hat der Bremer Biologin also zugearbeitet?

Ja, Mengele hat ihr zugearbeitet. Es war also nicht so, dass er auf die Idee gekommen ist, sondern Magnussen hat die Versuche in Berlin-Dahlem an einem Institut ersonnen und dort zuerst Kaninchen mit Heterochromie gezüchtet. Die Erkenntnisse hat sie dann auf die Menschen in Auschwitz übertragen.

Das Perfide an diesen Menschenversuchen ist, dass diese Versuche den Tod der Menschen voraussetzen.

Hans Hesse, Historiker und Autor

Sie hat die Augen dann von Mengele zugeschickt bekommen. Wie sahen die Versuche an den Menschen aus?

Den Menschen wurde etwas in die Augen geträufelt und um das Ergebnis zu untersuchen, musste man dann irgendwie an die Augen kommen. Und die Augen konnte man natürlich nur bekommen, wenn die Menschen sterben. Magnussen wusste also, dass diese Menschen im KZ sterben werden und sie die Augen bekommen wird. Bis in die 70er Jahre hat sie noch Präparate und ganze Augen aus dieser Zeit gehabt.

Karin Magnussen konnte nach der NS-Zeit unbehelligt als Lehrerin in Bremen leben. Über das Thema haben Sie bereits 2001 ein Buch geschrieben. Was ist alles an Arbeit und Recherche in dieses neue, umfangreichere Buch geflossen?

Kaum war das erste Buch, "Augen aus Auschwitz", auf dem Markt, wurde ich nach den Opfern gefragt. Damals war ich der Erste, der gesagt hat, dass das eine Familie aus Oldenburg namens "Mechau" ist. Wir kannten nur den Namen. Ich wurde dann häufiger nach den Opfern gefragt: Wer waren die Opfer, kannst du dazu etwas recherchieren? Das ist jetzt in dem neuen Buch der Schwerpunkt: die Verfolgungsgeschichte von sechs Sinti-Familien, die von diesen NS-Forschungen betroffen sind.

Magnussen ist Lehrerin geworden. Sie hat nie in irgendeiner Form etwas büßen müssen. Die Sinti mussten mitunter über mehrere Jahrzehnte für ihre Wiedergutmachung kämpfen.

Hans Hesse, Historiker und Autor

Das Interview führte Kristin Hunfeld für Bremen Zwei. Für butenunbinnen.de hat Henry Borgelt das Gespräch aufgeschrieben und redigiert.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Tag, 15. Mai 2025, 14:13 Uhr