Fragen & Antworten
Gewalt gegen Frauen: Was ist ein "Stellvertreter-Femizid"?
Im Zusammenhang mit dem Prozess gegen einen Bundeswehrsoldaten vor dem Landgericht Verden fällt der Begriff oft. Was sich dahinter verbirgt und wo geschlechtsspezifische Gewalt anfängt.
Zwei Expertinnen erklären, welche Denkmuster hinter Gewalt gegen Frauen sowie Femiziden und Stellvertreter-Femiziden stehen und welche weniger bekannten Formen von Gewalt es gibt.
Warum wird eine Tat, bei der Menschen getötet wurden, die der Partnerin oder Ex-Partnerin nahestanden, als "Stellvertreter-Femizid" bezeichnet?
Man muss sich die Fallkonstellation und die Motive hinter der Tat genau anschauen. Frauenrechtsorganisationen bezeichnen eine Tat dann als Stellvertreter-Femizid, wenn aus frauenfeindlichen Motiven getötet wurde, die Partnerin oder Ex-Partnerin selbst aber am Leben gelassen wurde. "Die Menschen zu töten, die der Ex-Partnerin wichtig sind, ihr diese Menschen zu nehmen, ist vielleicht die ultimative Form von Gewalt, es geht hier schon um eine Art der Bestrafung", sagt Johanna Wiest, Referentin für häusliche Gewalt bei der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes.
Auch die Bremer Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm verweist auf den Aspekt der psychischen Gewalt gegen die Ex-Partnerin: "Im Fall aus dem Landkreis Rotenburg macht der Mann seiner Ex-Partnerin nahestehende Menschen für das Scheitern seiner Ehe verantwortlich. Mit dem Mord an ihnen fügt er ihr psychische Gewalt zu. Hier gibt es also ein vergleichbares Denkmuster wie bei Femiziden."
Zahlen zu Stellvertreter-Femiziden gibt es nicht, weil keine Daten dazu erhoben werden. Laut dem FEM-UNITED Comparative Report, einem Forschungsprojekt zu Femiziden, das von der EU gefördert wurde, werden bei zwölf Prozent der in Deutschland erfassten Femizide weitere Menschen getötet, zum Beispiel Kinder oder neue Partner.
Was ist ein Femizid und welches Weltbild steht dahinter?
Als Femizide werden Tötungsdelikte bezeichnet, bei denen die Opfer Frauen sind und bei denen als Motiv ein bestimmtes Weltbild hervorsticht, nach dem Frauen Männern untergeordnet sind und sich in einer bestimmten Weise zu verhalten haben.
Die Zentralstelle für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau in Bremen weist auf Anfrage darauf hin, dass Femizide häufig von Partnern oder Ex-Partnern des Opfers begangen werden. "Ihnen zugrunde liegt ein geschlechtsspezfisches Macht- und Hierarchieverständnis der Täter. Dieses ordnet die Frau dem Mann unter und schreibt ihr bestimmte Stereotype und längst überholte Rollenbilder zu, um die eigene Dominanz zu festigen. Eine von der Frau ausgehende Trennung oder Scheidung passt nicht in diese Vorstellungen und markiert einen Kontrollverlust des Mannes", sagt Landesfrauenbeauftragte Bettina Wilhelm.
Besitz- und Dominanzansprüche von Männern gegenüber Frauen seien durchaus gesellschaftlich verwurzelt. Erst im Jahr 1997 beschloss der Bundestag nach hitziger Debatte, dass eine Vergewaltigung in der Ehe auch als Vergewaltigung strafbar wurde. Zuvor hatten solche Taten allenfalls als Nötigung gegolten.
Wo fängt geschlechtsspezifische Gewalt an?
Johanna Wiest, Referentin für häusliche Gewalt bei der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, sagt, dass es viele Formen "unsichtbarer" Gewalt gebe, die in der Gesellschaft eher unbekannt seien. Damit meint sie verschiedene Formen der Machtausübung. Ein Beispiel ist Kontrolle der Partnerin durch finanzielle Abhängigkeit. Andere unsichtbare Gewaltformen sind etwa digitale oder psychische Gewalt. "Bei psychischer Gewalt geht es meistens um Formen von Kontroll- und Machtausübung über eine Frau bis hin zu ihrer Isolation von ihrem Umfeld."
Der Beginn der Beziehung könne sich für die betroffenen Frauen aber ganz anders anfühlen. "Eine Beziehung kann zum Beispiel mit dem sogenannten ‚love bombing‘ beginnen, bei dem die Partnerin mit Aufmerksamkeit überschüttet wird. Am anfälligsten dafür sind Personen, die sich vielleicht aufgrund ihrer eigenen Kindheitserfahrungen besonders nach Liebe und Aufmerksamkeit sehnen und die vielleicht auch nicht gut in der Lage sind, zwischen einer gesunden Liebe und einer toxischen zu unterscheiden", sagt Wiest. Für sie könne es zu einer Sucht werden, diese übersteigerte Aufmerksamkeit zu bekommen.
Eine weitere Gewaltform komme in einem solchen Szenario oft hinzu, wenn die Bindung intensiver werde, zum Beispiel, in dem die Partner in eine gemeinsame Wohnung ziehen, heiraten oder ein Kind erwarten. "Denn an diesem Punkt ist für den Täter klar, dass es für das Opfer immer schwieriger wird, sich aus der Beziehung zu befreien."
Quellen: buten un binnen und dpa.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Rundschau am Morgen, 2. Oktober 2024, 7 Uhr