Wie ein Spiegel Kim Tan Dinh und 40 andere Boatpeople rettete
Tausende Vietnamesen flüchteten 1979 übers Meer. Der Oldenburger Kim Tan Dinh wurde vom Frachter "Cap Anamur" gerettet. Ohne seinen Spiegel wäre er wohl tot.
Der Stückgutfrachter "Cap Anamur" stach in See, um die sogenannten Boatpeople zu retten. Sie waren nach dem Vietnamkrieg mit Booten über das Südchinesische Meer geflüchtet – ohne die Hilfe der "Cap Anamur" wären sie vermutlich ertrunken. Die Besatzung der "Cap Anamur" rettete insgesamt fast 11.000 Schiffbrüchige. Einer von Ihnen ist Kim Tan Dinh. Er wurde zusammen mit 40 weiteren Flüchtlingen gerettet. Heute lebt er in Oldenburg.
Lichtzeichen mit dem Spiegel
Der damals Schiffbrüchige Kim Tan Dinh holt einen kleinen, eckigen Gegenstand hervor. Etwa so groß wie ein heutiges Smartphone, das er wie einen Schatz hütet – gut und sicher verpackt.
Da ist er, ein Spiegel. Wenn man ihn gegen die Sonne hält, können Schiffe und Flugzeuge uns sehen.
Kim Tan Dinh
Ein amerikanisches Flugzeug hatte damals das Blinken bemerkt und der "Cap Anamur Bescheid" gegeben. Da war Kim Tan Dinh schon vier Tage und vier Nächte mit seiner Familie und 40 weiteren Menschen auf einem selbst gebauten Schiff unterwegs. Er selbst hatte das Schiff gekauft. Still und heimlich baute er es schließlich in einem Wald um. Allerdings erfuhr auch die Polizei irgendwann von seinen Tätigkeiten. Sie fragten ihn, sagt Dinh heute, was er damit vorhabe. Er erwiderte, dass er fischen gehen wolle, um Geld für seine Familie zu verdienen. Das haben die Polizisten geglaubt und akzeptiert.
Lieber sterben als in Vietnam bleiben
Kim Tan Dinh hat alles über seine Geschichte in einer großen schwarzen Aktentasche aufbewahrt. Dort bewahrt er auch Artikel auf, die über ihn geschrieben wurden. Im Vietnamkrieg war er Fallschirmjäger. Er kämpfte im antikommunistischen Südvietnam gegen das kommunistische Nordvietnam. Als die Kommunisten den Krieg gewannen, wurde er zum Feind und in Saigon in ein Umerziehungslager gesteckt. Doch es gelang ihm an die Küste zu fliehen. Dort beschloss er mit seiner Familie, das Land zu verlassen.
Seine Kinder waren da gerade sechs Monate und drei Jahre alt. Er erzählt, dass er lieber hätte sterben wollen als weiter in Vietnam zu leben. "Sterben kann man nur einmal, und das Leben in Vietnam war unerträglich", sagt Dinh.
Mit Angst ins neue Land
Als sie auf der Flucht waren, seien mehr als 80 Schiffe, viele davon mit ausländischer Flagge, damals an ihnen vorbeigefahren, sagt Kim Tan Dinh. Sie hätten gewinkt, gerufen, doch keiner habe ihnen geholfen. Wenn er sich an die Rettung durch die "Cap Anamur" erinnert, kommen ihm heute noch vor Freude die Tränen – und das obwohl er die Geschichte nun seit 40 Jahren erzählt.
Als sie schließlich erfuhren, dass sie mit der "Cap Anamur" nach Deutschland gebracht werden sollten, bekamen sie es allerdings mit der Angst zu tun und zögerten.
Deutschland war geteilt wie Vietnam. Wir hatten Angst, dass es dort genauso zugeht wie in unserem Land, dass die Kommunisten alle anderen unterdrücken.
Kim Tan Dinh
Doch als sie ankamen, merkten sie, dass es ganz anders ist als in ihrer Vorstellung: Er fühlte sich überall willkommen, sagt Dinh. Erst lebte er mit seiner Familie in Elsfleth, dann zogen sie nach Oldenburg. Er arbeitete als Betriebstechniker bei der Telekom, seine Frau eröffnete einen Asia-Imbiss. Noch zwei Kinder bekamen die beiden. Sie haben alle studiert, erzählt Kim Tan Dinh stolz.
Wie jedes Jahr, wird er sich mit seiner Familie zusammensetzen, über die "Cap Anamur", ihre Rettung und Vietnam sprechen. Dann wird Kim Tan Dinh auch den rettenden Spiegel wieder auspacken.
Den Spiegel wollten schon viele Museen haben – aber ich gebe ihn nicht her. Vielleicht irgendwann in zehn Jahren.
Kim Tan Dinh
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. September 2019, 19:30 Uhr